Elke Kahr
APA/ERWIN SCHERIAU
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Politik

Elke Kahr zwischen Tito, Nostalgie und Ideologie

Vorbild Tito: Aussagen der überraschenden Siegerin der Grazer Gemeinderatswahl Elke Kahr (KPÖ) haben in der vergangenen Woche für Aufsehen gesorgt. Ein Grazer Politologe und Historiker sieht Kahrs Worte „ambivalent“.

Gegenüber der kroatischen Zeitung „Jutarnji list“ soll Kahr von Josip Broz Tito, der Ex-Jugoslawien bis 1980 diktatorisch regierte, geschwärmt haben: „Ich habe Titos Weg der blockfreien Staaten tatsächlich für gut befunden. Es war das tauglichste System dieser ganzen Staaten, und ich hatte das Gefühl, so könnte es gehen“, erklärte Kahr nach dem Interview; die Zeitung hatte sogar „Mein Vorbild ist Tito“ getitelt.

Keine „Säulenheiligen-Anbeterin“

In dem Zeitungsbericht wird der Grazer KPÖ-Chefin eine „nostalgische Verehrung“ und Affinität zu den Partisanen zugesprochen. Kahr gestand offen ein, dass sie noch heute gerne jugoslawische Musik höre und sie beteilige sich auch persönlich an der Organisation der jährlichen „Yugo fešta“ im Volkshaus, Sitz der steirischen KPÖ-Zentrale. Deswegen sei sie aber keine „Säulenheiligen-Anbeterin“, beteuert sie stets.

„Ambivalent“

Tito war mehr als nur umstritten: Menschenrechtsverletzungen und die Gefangenschaft von Staatsfeinden auf der Adria-Insel Goli Otok, die mit Folter und oft auch Tod verbunden waren, sind Teil der Geschichte. Kahr sagte dazu, Tito habe „nicht alles im Griff“ gehabt. „Es ist eine ambivalente Sache: Einerseits ist Tito für viele nach wie vor eine positive Figur, weil er dieses Einigen der jugoslawischen Idee repräsentiert – nicht Nationalismus. Er wird als positive Figur gesehen, nicht so sehr, weil er Kommunist war, sondern weil er als Symbol für einen gemeinsamen jugoslawischen Staat steht“, erläutert der Politologe und Zeithistoriker Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Uni Graz, im Gespräch mit der APA. Er sei daher „durchaus als positives Symbol zu respektieren, weil er für viele dieses einigende Symbol darstellt“.

„Auch ein problematisches Symbol“

Gleichzeitig sei es auch ein „problematisches Symbol“: „Erstens war es keine demokratische Herrschaft, und gerade in der Frühphase der kommunistischen Herrschaft wurden auch Verbrechen seitens der kommunistischen Partei unter seiner Führung begangen.“

Der Zeithistoriker führte aber auch ins Treffen, dass sich der jugoslawische Kommunismus von jenen in den sowjetischen Staaten unterschieden hat: „Es war zwar keine Demokratie, aber es hat viele der Einschränkungen, die es im Ostblock gab, nicht in Jugoslawien gegeben. Es gab gewisse Reisefreiheit und auch kulturelle und literarische Freiheit, die sehr viel weiter als im Ostblock war. Es gab auch die Möglichkeit, das Regime bis zu gewissen Tabus zu kritisieren“, so Bieber. „Ich kann daher gut nachvollziehen, warum er positive Assoziationen bei vielen hervorruft und es ist etwas anderes als wenn man Erich Honecker, Josef Stalin oder Nicolai Ceausescu glorifizieren würde. Aber es ist natürlich nicht ganz unproblematisch.“

Wähler-Mobilisierung mit Jugo-Nostalgie

Als Bewohner von Graz habe es ihn nicht überrascht, dass die KPÖ die Jugo-Nostalgie aktiv mobilisiere: „Die KPÖ versucht damit ganz bewusst Wählerinnen und Wähler aus dem ehemaligen Jugoslawien an sich zu binden. Ich sehe das in einer strategischen Dimension, weil das eine Möglichkeit ist, durch die Jugo-Nostalgie Wähler zu gewinnen, die normalerweise nicht für die KPÖ stimmen würden. Es ist eine unkritische Übernahme dieses Tito-Kults, den ich persönlich nicht nachvollziehen kann, aber ich kenne viele, die sehr positiv auf die Zeit zurückblicken.“ Von Parteien dürfe man sich aber erwarten, dass sie kritischer damit umgehen, weil nicht alles positiv war.

Ungewöhnlich ist für den Politologen, dass die KPÖ in Österreich ursprünglich sowjetisch orientiert war und nicht jugoslawisch. Erst später habe man sich eher Ex-Jugoslawien zugewandt, weil „man kann heute natürlich schwer sagen, dass die Sowjetunion besonders vorbildhaft war. Jugoslawien ist aber einer der wenigen kommunistischen Staaten, die eher positiv besetzt sind als die anderen“, schildert Bieber. Der Versuch einer Distanzierung durch Kahr war für ihn ein Versuch, gewisse Publiken zu bedienen: „Einerseits ist sie versucht, nicht jene zu vergraulen, die mit der ideologischen Dimension wenig anfangen können. Andererseits will sie auch die nicht vergraulen, die seit Jahren zu den Festen gehen und den ideologischen Hintergrund fördern.“ Eine klare Abgrenzung von Tito würde vielleicht Wähler verprellen, vermutet Bieber.

„Eher Nostalgie als Ideologie“

Zum für viele überraschenden Wahlerfolg der KPÖ sagte er: „Ich glaube, und das sage ich nicht als Wissenschaftler, sondern als politisch interessierter Bewohner von Graz, dass es kein ideologischer Wahlkampf war. Der Wahlerfolg war eine Wertschätzung gegenüber der jahrelangen Arbeit der Partei.“ Er sieht einen „Spagat zwischen dogmatischer Partei, die lokal sehr pragmatische Politik betreibt, und damit Wähler gewinnt“.

Dass nun deswegen rund 30 Prozent der Grazer Kommunisten sind, glaubt er nicht: „Viele, die sie gewählt haben, können sich mit der Ideologie nicht anfreunden, aber das sieht man auch bei Wahlen auf Landes- oder Bundesebene: Da wählen die Menschen grundsätzlich nicht die kommunistische Partei, aber auf lokaler Ebene schon, weil sie da einen positiven Eindruck von der Partei haben. Das hat wenig mit Ideologie zu tun.“ Die Menschen, vor allem aus Bosnien, hätten sich von dem positiven Bild von Jugoslawien angesprochen gefühlt – „also eher Nostalgie als Ideologie“.

„Zwischen Lokal- und nationaler Politik unterscheiden“

Für den Südosteuropa-Experten spricht nicht unbedingt etwas dagegen, dass Kahr nun wohl Bürgermeisterin wird: „Da muss man schon unterscheiden zwischen Lokalpolitik und nationaler Politik. Solche Aussagen sind sicherlich problematisch, wenn man nationale Politik machen will. Auf lokaler Ebene ist es nicht unbedingt etwas, was einen disqualifiziert. Tito ist eine komplexe Person, aber ich würde es als besorgniserregend sehen, wenn Kahr sagt, sie findet den Umgang von Tito mit seinen politischen Gegnern als vorbildhaft. Wenn man an Blockfreiheit, Reisefreiheit und den Versuch Sozialismus mit einer gewissen politischen Freiheit zu verbinden anstrebt, dann kann ich sagen, damit kann man auf lokaler Ebene leben.“ Ganz im Gegensatz dazu sieht er das Interview von KPÖ-Landtagsabgeordneten Werner Murgg „problematischer und kritischer“ – mehr dazu in KPÖ-Mandatar verteidigt TV-Interview (29.9.2021) und in KPÖ: TV-Auftritt von Murgg bleibt folgenlos (6.10.2021).

Viel Aufmerksamkeit in den Ländern Ex-Jugoslawiens

In den Ländern Ex-Jugoslawien hat der Wahlerfolg der KPÖ laut Bieber „große Aufmerksamkeit auf sich gezogen“. Einerseits weil es ungewöhnlich sei, dass eine kommunistische Partei in Österreich eine Wahl gewinnt, andererseits aber auch, weil man hörte, dass sie ein Bild von Tito in ihrem Büro hängen habe. „Das wurde mit einer gewissen Überraschung, aber auch teilweise wohlwollend in den Ländern aufgenommen – eher mit Blick auf die Nostalgie-Perspektive. Andere beurteilten es aber auch sehr negativ. Da ist die Bevölkerung oft gespalten.“