Die Angeklagte zu Prozessbeginn gegen eine Vietnamesin wegen versuchten Mordes am Freitag, 17. Dezember 2021, am Straflandesgericht Graz.
APA/KARIN ZEHETLEITNER
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Chronik

Cousin niedergestochen: 18 Jahre Haft

Wegen versuchten Mordes ist am Freitag eine 21-jährige Vietnamesin in Graz nicht rechtskräftig zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Im Mai soll sie ihrem Cousin zwei Messerstiche in den Nacken versetzt haben – er überlebte trotz schwerster Verletzungen.

Über das Motiv konnte das Gericht nur rätseln, konkrete Angaben machte die junge Frau trotz mehrstündiger Befragung nicht. Sie leugnete aber bis zuletzt, dass sie den Mann töten wollte. Die Geschworenen waren sich nach kurzer Beratung einig: Mit acht zu null Stimmen sprachen sie die Vietnamesin schuldig. Die Strafe lautete 18 Jahre Haft. Weder die Frau noch der Staatsanwalt gaben eine Erklärung ab, das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Blutverschmierte Decken führten zum Tatort

Laut Polizei ereignete sich die Attacke im Mai in einer Wohnhausanlage in der Herrgottwiesgasse im Grazer Bezirk Gries: Ein Passant fand damals auf dem Gehsteig vor einem Mehrparteienhaus mehrere mit Blut verschmierte Decken und verständigte die Polizei.

Die Polizisten trafen dann im Stiegenhaus auf den am Boden liegenden 18-jährigen vietnamesischen Staatsbürger, der im Bereich des Halses eine stark blutende Verletzung aufwies. Neben dem Mann hockte die 21-jährige, ebenfalls vietnamesische Staatsbürgerin, die versuchte, mit einem Handtuch die Wunde des Mannes zu versorgen – mehr dazu in Mann von Cousine niedergestochen: Zustand stabil (10.5.2021).

„Prallvolle Geschworenenbank“

Die junge Frau musste sich am Freitag wegen Mordversuchs vor Gericht verantworten. Eigentlich hätte der Prozess schon vergangene Woche stattfinden sollen – da platzte die Verhandlung aber, weil sich nicht genug Laienrichter auftreiben ließen – mehr dazu in Fehlende Laienrichter: Prozess geplatzt (10.12.2021). Dieses Problem stellt sich nicht mehr: „Heute ist die Geschworenenbank prallvoll“, freute sich der Richter zu Beginn der Verhandlung am Freitag.

Staatsanwalt: „Er hatte immenses Glück“

Der Staatsanwalt führte zunächst aus, dass die Angeklagte am Tag der Tat zu ihrem Cousin in die Wohnung gekommen war – dort hatten die beiden zuvor gemeinsam gewohnt, die 21-Jährige musste sich im Auftrag der Familie um den jüngeren Mann kümmern. Doch nach mehreren Streitereien – die offenbar innerhalb der beiden Familien fortgesetzt wurden – zog sie aus. Sie gab vor, ihm einen Mantel nähen zu wollen und dazu Maß nehmen zu müssen; dann markierte sie Punkte in seinem Nacken, als er vorgebeugt am Küchentisch saß. Plötzlich stieß sie nach seinen Angaben einen Schrei aus und stach ihm mit zwei Küchenmessern in den Nacken.

Er schleppte sich in sein Zimmer und schrieb auf ein Notizheft, dass sie ihn getötet habe; dann warf er blutige Bettwäsche aus dem Fenster, um auf sich aufmerksam zu machen, da sein Handy laut Ankläger blutverschmiert und unbrauchbar war. Der junge Mann hatte schwere Verletzungen im Wirbelsäulenbereich und am Thorax, ein Stich ging durch die Speiseröhre. „Er hatte immenses Glück“, dass er das überlebt habe, meinte der Staatsanwalt.

Angeklagte: Keine nachvollziehbare Geschichte

Die Angeklagte gab zunächst an, sie sei beim Maßnehmen ausgerutscht, auf den Boden gefallen und ohnmächtig geworden; als sie wieder zu sich kam, war der Cousin schon verletzt. Warum auch in ihrer Hand ein Messer steckte und sie stark blutete, konnte sie nicht sagen. Der Richter versuchte am Freitag mehrere Stundenlang, aus der Verdächtigen eine nachvollziehbare Geschichte herauszubringen, doch ihre Angaben drehten sich im Kreis. Sie gab dann immerhin an, sich an den ersten Stich erinnern zu können. „Sie haben aber zwei Mal zugestochen“, meinte der Richter. „Das ist nicht möglich, es gab keinen Grund für einen zweiten Stich“, antwortete die Frau. „Es gab auch keinen Grund für einen ersten Stich“, konterte der Vorsitzende.

Was sich im Laufe der Verhandlung aber doch herauskristallisierte, war, dass die Frau offenbar unter großem Druck seitens der Familie stand: Die Angehörigen des Cousins hatten von ihr verlangt, für den Studenten teilweise die Miete zu bezahlen und sich um alles zu kümmern. Ob ihr nur der Druck zu groß geworden war oder ob ein konkreter Mordauftrag seitens der Familie an sie ergangen war, konnte nicht geklärt werden.

Sachverständiger schloss Ohnmacht aus

Die Version mit der Ohnmacht schloss der psychiatrische Sachverständige jedenfalls aus. Bei der aufgezeichneten Befragung unmittelbar nach der Tat im Stiegenhaus durch die Polizei sei die Frau völlig klar gewesen: „So reagiert niemand, der kurz vorher noch bewusstlos war“, war sich der Gutachter sicher.