Konjunkturgespräch Raiffeisenlandesbank
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Wirtschaft

Experten sehen Chancen für Standort Europa

Beim Konjunkturgespräch der Raiffeisenlandesbank Steiermark am Mittwoch haben die Experten die Chancen betont, die die EU aus aktuellen Krisen ziehen könne. Die Gas-Problematik sei lösbar, bei Fachkräften seien gemeinsame Anstrengungen nötig.

Das Konjunkturgespräch ging erstmals seit zwei Jahren auch wieder mit Publikum über die Bühne: An die 500 Gäste, großteils Unternehmer, kamen in die Zentrale der Raiffeisenlandesbank nach Raaba bei Graz.

Weg zu nachhaltigeren Strategien

Raiffeisen-Landesbank-Steiermark-Generaldirektor Martin Schaller sagte: „Die Normalität schien zum Greifen nahe, doch seit dem 24. Februar leben wir in einer anderen Welt“ – damit spielte er auf die russische Invasion in der Ukraine an. Durch Krisen entstünden aber auch Chancen, die Pandemie habe bei allem Schub für die Digitalisierung gezeigt, dass das persönliche Gespräch durch nichts zu ersetzen sei.

Stichwort persönliche Kontakte: „In der RBI sitzen Ukrainer und Russen als beste Kollegen nebeneinander.“ Möglicherweise zeigten diese Krisen einen Weg zu nachhaltigeren Strategien: „Wir besprechen heute den Produktionsstandort Europa, das war noch nie so essenziell wie heute.“

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„Klug anstellen“ in den Krisen

Derzeit sind es die hohen Energiepreise, die die Konjunkturaussichten trüben. Davor waren es die Auswirkungen der Pandemie, vor allem Lieferengpässe in weiten Teilen des Rohstoffmarkts und etwa auch bei Computer-Chips. Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV) Österreich, warf einige Blicke zurück: Wenn es nicht den Krieg in der Ukraine gebe, hätte man den stärksten Aufschwung seit 50 Jahren, so aber die höchste Inflation seit 40 Jahren. Wirtschaftsaufschwünge in einer Dauer von sieben bis zehn Jahren seien ja Ausreißer, historisch gesehen.

Die nächste Krise dämmere schon herauf, die Inflationskrise. Man habe in den vergangenen Jahren oft von Knappheiten gesprochen, tatsächlich sei kaum etwas knapp gewesen. „Wir sahen in realer Rechnung unglaublich günstige Energie- und Rohstoffpreise und ein Kapitalangebot ohne Ende“, so Helmenstein. Nun sehe man tatsächlich Knappheitspreise und in Bezug auf die Kapitalmärkte eine totale Erosion der Renditen.

Die jetzige Fachkräfte-Knappheit sei nur einmal „zum Aufwärmen“, in den nächsten zehn Jahren seien in Österreich wohl rund 540.000 Jobs nicht zu besetzen. Da lägen aber ebenso wie bei der Energie Chancen, „wenn wir es nur klug anstellen“. Wenn man das tue, könne man Biogas zu guten Preisen selbst erzeugen, wie Helmenstein bereits Anfang März in Wien etwa erläutert hatte. Die heimische Produktionsstruktur sehe Gaseinsatz vor, unter einer hohen Importquote aus Russland, andere Länder wie Frankreich oder Italien könnten da entspannter sein. Wenn Unternehmen ihre Strategie auf Biogas umstellten, könnte das Thema Energie für sie erledigt sein.

Inflation und Blackout

Ein Erdgasembargo würde Österreich derzeit massiv treffen und beispielsweise zweistellige Inflationsraten sowie massive Arbeitslosigkeit auslösen, meinte Helmenstein; drohen würde wegen mangelnder Netzstabilität auch ein Blackout. Österreich und Europa müssten sich – wie die USA seit 20 Jahren – bei Energien viel autonomer aufstellen. bei Lieferketten brauche es jedenfalls Zeit und Investitionen, bis neue Produktionsstätten entstünden, aber die Problematik werde sich auflösen, antwortete Helmendstein auf eine entsprechende Publikumsfrage: „Wir werden nicht mehr so lange und dünne Lieferketten sehen, ebenso wie eine verstärkte Diversifikation, das heißt auch Produktion zurück nach Europa, ein Schlüsselfaktor werden dabei auch die Energiekosten sein.“

Plädoyer gegen „ultraexpansive Geldpolitik“

Aufhorchen ließ Helmenstein mit einem Plädoyer für ein Aussteigen aus einer „ultraexpansiven Geldpolitik“, die zu extremen sozialen Disruptionen und massiven Verteilungskämpfen führen könnte. „Die soziale Kohäsion darf nicht zerstört werden“, so Helmenstein in Erinnerung an entsprechende Erfahrungen aus der Ära Margaret Thatcher in Großbritannien.

Vom Fachkräfte- zum Arbeitskräftemangel

Infineon-Technologies-Austria-Vorstandschefin Herlitschka beschrieb die jetzigen Forderungen nach einem Rückbesinnen auf Europa als Produktionsstandort mit der Genese ihres Unternehmens in Österreich. 1970 sei man als verlängerte Werkbank gestartet, 2021 habe man nach Investition von rund 1,6 Milliarden Euro eine neue energieeffiziente vollautomatische Fabrik am Standort in Kärnten in Betrieb genommen. Es gehe darum, Produktion und F&E zu kombinieren. Das habe nur Nutzen: die Stärkung der Regionen und das Einsparen von Emissionen.

„Europa ist bisher vor allem als Endkunde, nicht als Fertiger aufgetreten“, so Herlitschka. Hürden dabei seien Mangel an Fachkräften und „die Herausforderung Genehmigungsrecht“. Der bisherige Fachkräftemangel drohe zum Arbeitskräftemangel zu werden. „Der Erfolg bisheriger Rekrutierungsmethoden ist überschaubar, wir brauchen andere Maßnahmen, da muss uns gemeinsam mehr gelingen“, sagte Herlitschka.

Europäische Werte

Sie plädierte für „Investitionen in strategische Teile von Wertschöpfungsketten, denn wir werden nicht alles nach Europa zurückholen können. Die großen Veränderungen kommen erst, da müssen wir zu den first movern gehören und auch besser in der Umsetzung von Zielen, die ja in Europa vorgegeben werden, sein.“ Herlitschka brachte angesichts der Problematik US-amerikanischer Datenkraken und dem berüchtigten chinesischen Social Credit System europäische Werte als Asset ins Spiel – den Daten- und Konsumentenschutz in der EU. „Technologien haben immer mit Werten zu tun. Da setzen wir Standards und das ist gut so. Das prägt auch Gesellschaftssysteme und ich möchte, dass die Welt mehr von unseren Werten geprägt ist und nicht vom Social Credit System“, so Herlitschka.