Kind sein in Korbin, 1930er-Jahre
Franz Fauth, MMS/UMJ
Franz Fauth, MMS/UMJ
Kultur

Ein Blick auf das Dorfleben vor 100 Jahren

Das Grazer Museum für Geschichte thematisiert den Zerfall der dörflichen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung „In einer zerrissenen Zeit“ illustriert den Wandel anhand der Veränderungen in der Steiermark.

Glückliche Hühner, ein beschauliches Leben im Grünen: Die Sehnsucht nach Natur, Ruhe und Dorfidylle in unserer Gesellschaft ist groß – mit der Realität hat diese idyllische Vorstellung des Landlebens oft wenig zu tun, heute nicht und auch schon nicht vor 100 Jahren.

Alles andere als idyllisch

„Wir können uns in die Lebensbedingungen vor hundert Jahren nur sehr schwer hineinversetzen, weil es uns an Wissen und Erinnerung fehlt, wie all das, was uns umgibt, schrittweise entstanden ist“, sagt Ausstellungskurator Harald Heppner, emeritierter Professor vom Institut für Geschichte der Universität Graz.

Landarbeiter in der Weststeiermark
Franz Fauth, MMS/UMJ

Die Präsentation in den drei Räumen im Erdgeschoß des Museums für Geschichte führt vor Augen, wie wenig beschaulich sich das Leben der ländlichen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert gestaltete. „Die Menschen im Dorf mussten sich um die meisten Angelegenheiten des Alltags selbst kümmern, weil es niemanden gab, der ihnen diese Sorge abnehmen hätte können“, resümiert Heppner.

Tiefgreifende Veränderungen

Mehr als die Hälfte der Steirerinnen und Steirer zählten damals zur Landbevölkerung – sie wurden Teil einer Entwicklung, in der tiefgreifendere Veränderungen vor sich gingen: Bereits mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte die Abwanderung in die Städte ein – Kleinbauern, Keuschler und Dienstboten versuchten, in der Industrie Arbeit zu finden. Gleichzeitig vollzog sich in der Landwirtschaft ein großer Wandel: Technische Neuerungen sorgten für mehr Produktivität, aber zugleich für weniger Arbeitsplätze. Der Erste Weltkrieg bewirkte zusätzlich, dass bald nichts mehr so war, wie es einmal war.

Sichtbar wird das an einer Vielzahl an Fotografien, Auszügen aus Gemeinde-, Polizei-, Schul- und Pfarrchroniken, Tagebuchseiten und Zeitungsartikeln, die Heppner für die Ausstellung zusammengetragen hat. Für die Jahre bis 1914, die „Wucht des Kriegsgeschehens“ und das „Bangen um die Zukunft“ in der Zwischenkriegszeit wurden jeweils eigene Räume gestaltet.

„Zwischen Angst und Hoffnung“

Grundlage der Ausstellung ist das Forschungsprojekt namens „Zwischen Angst und Hoffnung. Rurale Perspektiven im Zeitalter des großen Krieges“, dessen Titel das ländliche Stimmungsbild im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts wohl präzise wiedergeben dürfte.