Unter Pushbacks versteht man das Zurückweisen von Migranten an der Grenze ohne eine individuelle Prüfung des Schutzbedarfs. Der Fall eines 21-jährigen Marokkaners sowie sechs anderer Personen, die am 28. September 2020 an der Grenzkontrollstelle Sicheldorf von heimischen Polizisten aufgegriffen wurden, wurde unter anderem von der Initiative Alarm Phone Austria sowie der Asylkoordination Österreich dokumentiert und öffentlich gemacht.
„Regelrechte Menschenjagd gegen Migranten“
Die Gruppe der Migranten sei damals einer „regelrechten Menschenjagd“ ausgesetzt gewesen: Die insgesamt sieben Personen hätten ganz klar um Asyl gebeten und seien damit vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen, hieß es. Ein zurückgeschobener 21-Jähriger sei sowohl in seinem Recht auf Achtung der Menschenwürde als auch dem Recht auf ausreichende Dokumentation verletzt worden, schrieb bereits der Landesgerichtshof in seinem Urteil – mehr dazu in Heftige Diskussionen nach Pushback-Urteil (5.7.2021) und in Illegaler Pushback: LPD verurteilt (19.2.2021).
„Nicht automatisch Recht auf Wiedereinreise“
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) wies nun eine dagegen eingebrachte Revision der Landespolizeidirektion Steiermark zurück. Diese höchstgerichtliche Bestätigung kommentierte der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der den gebürtigen Marokkaner vertritt, am Donnerstag in einer Pressemitteilung so: „Es ist uns gelungen, den Nachweis für die Verletzung eines absolut geltenden Menschenrechts zu erbringen. Es ist aber unbefriedigend, dass mein Mandant trotz der festgestellten Rechtsverletzung nicht automatisch das Recht zur Wiedereinreise nach Österreich hat.“
Die Initiative Push-Back Alarm Austria und die Asylkoordination Österreich fordern nun die Schließung dieser Rechtslücke: Wird ein Pushback gerichtlich festgestellt, sollte demnach den Betroffenen automatisch die Wiedereinreise gestattet und ein pauschaler Schadenersatz für die erlittene Grundrechtsverletzung zuerkannt werden.
Aussetzen aller Rückweisungen gefordert
Der betroffene Marokkaner hofft jetzt, dass diese Entscheidung dem rechtswidrigen Handeln der Behörden an der sogenannten Balkanroute ein Ende setzt: „Der Albtraum muss endlich aufhören. Mir wurden zwei Jahre meines Lebens gestohlen“, wird der mittlerweile 23-Jährige, der sich derzeit ohne Obdach in Serbien aufhält, zitiert. Die NGOs treten für „effektive Maßnahmen zur sofortigen Beendigung illegaler Push-Backs an der österreichischen Südgrenze“ ein: Das Aussetzen aller Rückweisungen nach Slowenien nach Aufgriffen von Geflüchteten im Grenzgebiet und eine externe Evaluierung der Rückweisungen in den vergangenen beiden Jahren in Hinblick auf Ketten-Push-Backs, Folter und unmenschliche Behandlung seien unabdingbar.
Aslykoordination: Hunderte Rückweisungen nach Slowenien
Für Lukas Gahleitner-Gertz, den Sprecher der Asylkoordination Österreich, hat Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) Erklärungsbedarf, da er im Dezember 2021 dem Parlament versichert habe, dass es in Österreich keine illegalen Pushbacks gebe: „Es stellt sich die Frage, ob der Innenminister das Parlament angelogen hat oder er schlicht keine Ahnung hat, was in seinem Einflussbereich passiert. In beiden Fällen ist er rücktrittsreif.“
Trotz der gravierenden Vorwürfe sei bisher nicht einmal ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Dabei habe das gegenständliche Verfahren gezeigt, dass seit 2020 Hunderte Rückweisungen an der österreichischen Südgrenze zu Slowenien ident abgelaufen seien.