Wissenschaft

Neue Stimme für ausgestorbene Heuschrecke

Wissenschafter in Großbritannien und Graz haben den „Gesang“ einer Laubheuschrecke digital nachgebildet, die zuletzt vor 150 Jahren in freier Wildbahn gesehen wurde. Mit der neuen Stimme hofft man nun, noch lebende Artgenossen zu finden.

Der britische Insektenforscher Francis Walker beschrieb im Jahr 1869 wissenschaftlich ein Exemplar eines Insekts aus der Ordnung der Heuschrecken und nannte die Art Prophalangopsis obscura. Das einzige bekannte Exemplar war zuvor dem Naturhistorischen Museum London von einem britischen Armeeoffizier geschenkt worden. Die Art gehört zu einer „Handvoll Arten aus einer Gruppe von Laubheuschrecken- und Grillenverwandten, die während des Jura dominiert haben“, wie der Bioakustiker Ed Baker vom renommierten Londoner Museum auf dessen Website erklärte.

Gesang wurde digital nachgebildet

Männliche Laubheuschrecken erzeugen ihre typischen zirpenden Gesänge, um Weibchen anzulocken. Die Lauterzeugung erfolgt durch das Aneinanderreiben bestimmter Strukturen der Vorderflügel. „Dadurch entstehen Vibrationen, die von speziellen Bereichen der Flügelmembran durch Resonanz verstärkt und dann als Schallwelle abgestrahlt werden“, erklärte Thorin Jonsson vom Institut für Biologie der Universität Graz gegenüber der APA.

Digitaler Gesang Heuschrecke
Woodrow, Charlie, Baker, Ed; Jonsson, Thorin; Montealegre-Z, Fernando – Woodrow, Charlie; Baker, Ed; Jonsson, Thorin; Montealegre-Z, Fernando

Um den Ruf von P. obscura nachzubilden, haben Forscher aus Großbritannien dreidimensionale Bilder von jedem Flügel des Museumsexemplars erstellt und unter anderem mit einem Laserdoppler-Vibrometer ihre Resonanzfrequenz bestimmt. Durch die Analyse der Schrillleisten und Flügelresonanzen sowie durch Vergleiche mit Daten von lebenden Heuschrecken konnten sie nachvollziehen, wie der Gesang des Insekts geklungen haben könnte.

Hoffnungsvolle Suche nach Artverwandten

Durch die Rekonstruktion des Rufs der Heuschrecke hoffen die Wissenschafter, noch lebende Exemplare der Art zu finden – so es sie noch gibt. Trotz wiederholter Versuche ist das bisher nicht gelungen. Genährt wird diese Hoffnung aber durch zwei weibliche Insekten, die dem männlichen Exemplar ähnlich sehen und 2005 in Tibet gefangen wurden. Aufgrund der starken Geschlechtsunterschiede lässt sich allerdings nicht sagen, ob es sich dabei tatsächlich um dieselbe Art handelt oder nur um eine nahe Verwandte.

Laut Beschriftung stammt das Museumsexemplar aus „Hindustan“, was den Wissenschaftern zufolge üblicherweise für das Gebiet Indiens unter britischer Kolonialherrschaft verwendet wurde. Tatsächlich könnte das kalte Klima Nordindiens und Tibets ein geeigneter Lebensraum für P. obscura sein, falls die Art überlebt hat.

Lockrufe über den Rekorder

Das hat vor allem damit zu tun, dass diese Region zu kalt für Fledermäuse ist, die ihre Beute mittels Echoortung finden. Der Rekonstruktion zufolge erzeugte Prophalangopsis obscura einen Gesang mit einer Frequenz von rund 4,7 Kilohertz (kHz). Das weist auf einen reduzierten Druck durch Fledermäuse hin, da niederfrequente Laute größere Entfernungen zurücklegen und so den Standort des Rufers verraten könnten.

Die Forscher schlagen vor, an potenziellen Standorten mittels autonomen Rekordern Rufe aufzuzeichnen und diese mit entsprechenden Signalerkennungsalgorithmen mit dem rekonstruierten Ruf zu vergleichen. Bei Übereinstimmung könnte dann in der entsprechenden Region gezielt gesucht werden.