Nikolaus Harnoncourt zieht sich zurück

Nikolaus Harnoncourt zieht sich zurück: Mit einem offenen Brief an sein Publikum verabschiedete sich der steirische Stardirigent, der am Sonntag seinen 86. Geburtstag feiert, von der Konzertbühne.

Ende November hatte der Wiener Musikverein mitgeteilt, dass Harnoncourt seine für dieses Wochenende anberaumten Konzerte aus gesundheitlichen Gründen absagen müsse. Die beiden Bach-Konzerte im Rahmen des Concentus-Musicus-Zyklus im Wiener Musikverein werden von Erwin Ortner dirigiert.

Dem Programmheft lag nun das Faksimile eines handgeschriebenen Briefes bei, in dem Harnoncourt seinen treuen Hörern für ihre Abenteuerlust dankt („Wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden“) und bittet, dem Ensemble die Treue zu halten. Seine Kräfte ließen es nicht mehr zu, sich weiterhin der Belastung von Auftritten auszusetzen, so Harnoncourt, der Zyklus werde „in seinem Sinne weitergeführt“ - mehr dazu in „Stardirigent Hanoncourt zieht sich zurück“ (news.ORF.at).

Der Brief Harnoncourts

Musikverein

Der Brief von Nikolaus Harnoncourt

Vom Cello ans Dirigentenpult

Harnoncourt wurde am 6. Dezember 1929 in Berlin geboren und verbrachte ab dem zweiten Lebensjahr seine Kindheit und Jugend in der Steiermark. Den Zweiten Weltkrieg mit den Bombenangriffen auf Graz zählt er heute zu seinen prägendsten Erlebnissen. Als Kind war er Augenzeuge des Besuches von Adolf Hitler in Graz und war schockiert über den Fanatismus der Bevölkerung. 1938 wurde die Familie Harnoncourt von den Nationalsozialisten gezwungen, ihren Wohnsitz - das Palais Meran in Graz - aufzugeben - es diente einst Erzherzog Johann, Harnoncourts Ururgroßvater, als Grazer Stadtwohnsitz.

Nach Kriegsende nahm Harnoncourt Cellounterricht bei Paul Grümmer im Salzkammergut, 1948 begann er sein Studium in Wien. 1952 wurde er bei den Wiener Symphonikern aufgenommen, ein Jahr später gründete er mit seiner Frau Alice den Concentus Musicus, mit dem er sich international einen Namen als Spezialist für die Aufführung von Renaissance- und Barockmusik machte. Nach seiner ersten Opernaufführung 1972 wuchs sein Erfolg als Dirigent; seine Karriere führte ihn an die bedeutendsten Konzert- und Opernhäuser der Welt.

Nikolaus Harnoncourt

Werner Kmetitsch

Mit seinen Aufführungen und Platten- bzw. CD-Aufnahmen gewann er ein Millionenpublikum. Er ist Träger zahlreicher Preise, etwa des renommierten Kyoto-Preises für sein Lebenswerk.

Revolution eingeleitet

Mit seiner Weigerung, bewährte Pfade ungeprüft zu beschreiten, und seiner Forderung nach Quellenstudium und Originalklanginstrumenten leitete er einst eine Revolution in der Aufführungspraxis ein - so wurde der früher Angefeindete einer der höchstdekorierten Weltstars des Musikbetriebes: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Leben lebt, in dem alle Wünsche erfüllt werden“, so Harnoncourt, „außerdem bedeutet ja jeder erfüllte Wunsch auch weitere unerfüllte, die ich in dieser Zeit nicht verwirklichen kann“.

Ein Festival für Harnoncourt

Im Sommer 2015 feierte das auf Harnoncourt zugeschnittene steirische Festival für Alte Musik, die styriarte, das 30-jährige Jubiläum - 1985 wollte der damalige Kulturlandesrat in der Steiermark, Kurt Jungwirth (ÖVP), mit dem Festival Harnoncourt näher an seine Heimatstadt Graz binden. Harnoncourt sorgte dabei immer wieder für internationales Aufsehen - etwa mit der szenischen Opernproduktion von Georges Bizets „Carmen“ im Jahr 2005. Das Musikfestival soll in Harnoncourts Sinne weitergeführt werden - mehr dazu in Harnoncourt-Rückzug: „Geist lebt weiter“.

Nikolaus Harnoncourt

Styriarte

Gefahr für berühmte Orchester

Dass er bei seinen Konzerten seine Musiker mit stechendem Blick in Bann hielt, erklärte Harnoncourt so: „Die Gefahr besteht immer, dass man sich lächerlich macht, wenn man so viel von sich hineinlegt. Ich habe sicher keine hypnotische Wirkung, aber ich würde wollen, dass jeder Musiker im Moment des Musikmachens in jeder Sekunde mit seiner ganzen Fantasie an der Gestaltung teilnimmt.“

Das sei auch der Grund, warum er mit manchem durchaus berühmten Orchester nicht arbeiten wollte, denn manchmal habe er sich nach gemeinsamen Konzerten gefragt, „warum ich sie nicht umgebracht habe. Im Dienst der Kunst hätte ich es vielleicht machen sollen“.

Dachte lange nicht ans Aufhören

In den letzten Jahren musste Harnoncourt aus gesundheitlichen Gründen immer wieder Konzerte absagen - ans Aufhören dachte er aber auch mit über 80 Jahren nicht. Entsprechend skeptisch nahm er kurz vor seinem 85. Geburtstag im Dezember 2014 den Echo-Lebenswerk-Preis entgegen - er stecke doch erst mitten in seinem Lebenswerk: „Was ist, wenn ich übermorgen ein anderes Lebenswerk habe?“ Doch einen Tag vor seinem 86. Geburtstag verabschiedete er sich nun doch von seinem Publikum.

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