Historiker fordern Baupause bei Murkraftwerk

Nach dem Auftauchen von Funden aus der NS-Zeit fordern Grazer Zeithistoriker jetzt, die Bauarbeiten zum Grazer Murkraftwerk zu unterbrechen. Die Energie Steiermark dagegen versichert, mit den Funden sensibel umzugehen.

Fast wöchentlich werden neue Argumente gegen das Grazer Murkraftwerk vorgebracht. Nun melden sich auch die Zeithistoriker der Universtität Graz zu Wort. Anlass dazu geben Funde von baulichen Strukturen aus der NS-Zeit, mit denen nun sensibel umzugehen sei, wie es heißt.

Kostbares Forschungsmaterial vermutet

Denn dort, wo derzeit gebaut wird, stand vor rund 70 Jahren ein Zwangsarbeiterlager. Das Lager Liebenau war in der NS-Zeit das größte Arbeitslager im Stadtgebiet mit bis zu 5.000 Personen, die dort untergebracht waren. Nach dem Krieg befand sich auf dem Areal ein Flüchtlingslager. Bis zur genauen Klärung und Zuordnung des jüngsten Fundes fordern mehr als ein Dutzend Grazer Historiker daher, die Bauarbeiten zu unterbrechen, „um den Verlust von kostbarem Material für die historische Forschung zu vermeiden“, sagt Zeithistoriker Stefan Benedik vom Institut für Geschichte gegenüber der APA.

„Besser, zweimal zu schauen“

Es gehe den Zeithistorikern nicht darum, eine Aussage für oder gegen den Kraftwerksbau zu machen, betonte Helmut Konrad, Professor für Zeitgeschichte. Sehr wohl werde „höchste historische Sensibilität“ eingefordert. „Es ist besser, zweimal zu schauen, als einmal zu wenig“, sagte der Zeithistoriker. Mit Baumaschinen über die Überreste von schweren nationalsozialistischen Verbrechen hinwegzupflügen, widerspreche dagegen der moralischen Verpflichtung der Stadt, heißt es in einer Aussendung.

Zusammenarbeit mit Bundesdenkmalamt

Die Energie Steiermark reagierte am Donnerstag auf den Vorstoß der Zeithistoriker und bestätigte, dass man mit den Funden sehr sensibel umgehe. „Sollte während der laufenden Arbeiten ein Fund gemacht werden, muss an dieser Stelle punktuell sofort gestoppt werden, um eine entsprechende Dokumentation und Vermessung zu ermöglichen. Das ist in den vergangenen Tagen umfassend geschehen.“ Sämtliche Schritte seien mit Experten und dem Bundesdenkmalamt abgestimmt.

Noch keine menschlichen Funde

Menschliche Funde seien bislang nicht entdeckt worden. Entdeckt habe man bisher ein NS-Abzeichen, diverse Metallteile und einen Stiegenabgang. Alle Funde sollen dokumentiert und nach ihrer Analyse gesammelt der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Zeithistorikerin Barbara Stelzl-Marx, die mit der Begleitung der Baustelle bis 2019 beauftragt wurde und sich bereits vor Jahren intensiv mit der Aufarbeitung dieses Kapitels in der Grazer Geschichte befasst hat, bestätigt die Angaben der Energie Steiermark, dass ein Archäologen-Team unter der Leitung von Gerald Fuchs die Arbeiten ständig begleite, wenn an sensiblen Stellen gegraben werde.