Amt duldete Kindsmörderin als Pflegemutter

Seine Pflegemutter war eine verurteilte Kindsmörderin, und das Jugendamt soll davon gewusst haben - diese Vorwürfe erhebt ein heute erwachsener Mann. Eine Entschädigung vom Land habe er bisher aber nicht bekommen, sagt er.

Es sei seine Großmutter gewesen, die den heute 51-Jährigen 1966 als Baby in einem Wäschekorb zur Pflegemutter brachte, erzählt der Betroffene. Und er lebte dann 15 Jahre lang - bis in die 80er Jahre - bei der Frau, obwohl sie eine verurteile Mörderin war und auch das Jugendamt Leibnitz davon gewusst hat - das behauptet der heute 51-Jährige. Ein Jugendamtsakt, der Ö1 exklusiv vorliegt, untermauert seine Angaben - mehr dazu in oe1.ORF.at.

„Jugendamt hätte das verhindern müssen“

Demnach steht in dem Akt - der Betroffene fotografierte ihn ab -, „dass diese Frau im Gefängnis war, von 1957 bis 1963, und zwar wegen Kindesmords. Jetzt verstehe ich auch, was ich dort durchmachen musste - die war einfach krank. Das hätte das Jugendamt verhindern müssen“, so der Mann heute im Gespräch mit dem ORF-Radio; auch von einer Verurteilung wegen Kindesmisshandlung ist im Akt die Rede.

1981, da war der Betroffene 15 Jahre alt, schrieben Nachbarn, dass er auf Holzscheiten knien musste und mehr Schläge als Essen bekommen haben soll, und wenn er nachts heimlich Lebensmittel aus dem Kühlschrank holte, soll er dafür mit den Füßen ans Gitterbett angebunden worden sein. Im Schreiben eines Primararztes an das Jugendamt soll es schließlich heißen: „Es wundert mich, dass sie uns nicht informiert haben, dass die Frau wegen Kindesmisshandlung verurteilt wurde.“

„Bin nicht weggekommen“

Das Jugendamt Leibnitz soll also informiert gewesen sein und hat laut Akt auch regelmäßig kontrolliert - trotzdem blieb der Mann in der Obhut seiner Pflegemutter, während zwei andere Pflegekinder den Pflegeplatz damals verlassen durften. „Die haben im Gesicht sehr grobe Verletzungen gehabt, das haben die Lehrerinnen in der Schule bemerkt - wir haben alle drei gelogen, dass da nichts ist, wir haben nur eine Rauferei gehabt. Und da ich keine sichtliche Verletzung hatte - es ist ja keiner auf den Gedanken gekommen, dass ich ausziehen soll -, bin ich nicht weggekommmen“, so der 51-Jährige.

Vermutlich als Folge der Misshandlungen soll er als Bub in der Schule als aggressiv und zerstörerisch aufgefallen sein; er wurde als behindert eingestuft, war zeitweise in der Psychiatrie, musste in eine Sonderschule gehen und wurde so, wie er heute sagt, seiner Bildungschancen beraubt. Später geriet er auf die schiefe Bahn und war sogar im Gefängnis.

Entschädigung bisher abgelehnt

Als der heute 51-Jährige Jahre später - vermutlich 2012 oder 2013 - versuchte, beim Land Steiermark um eine Entschädigung anzusuchen, ließ man ihn wissen, so seine Aussage, dass man sich schon seit Ende 2012 an die Opferschutzkommission für ehemalige Heim- und Pflegekinder nicht mehr wenden könne.

Seither meldeten sich allerdings noch 60 ehemalige Heim- und Pflegekinder. Die KPÖ hatte Ende des Vorjahres daher einen Antrag auf Fortführung der Kommission gestellt; Freiheitliche und Grüne haben das auch unterstützt, SPÖ und ÖVP lehnten den Antrag aber ab.

Kampus: „Um Lösung bemüht“

Aus dem Büro von Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) - 2012/2013 war noch Siegfried Schrittwieser (ebenfalls SPÖ) zuständig - hieß es am Freitag, der Fall sei wegen der abgelaufenen Frist nicht mehr geprüft worden. Derzeit seien auch „keine budgetären Maßnahmen“ für solche Fälle getroffen, sagte ein Sprecher. Man bemühe sich aber um eine Lösung und gehe auch davon aus, dass sich noch weitere ehemalige Pflege- und Heimkinder melden könnten.

Volksanwaltschaft will als Kontaktstelle fungieren

Volksanwalt Günter Kräuter sagte am Freitag anlässlich des Bekanntwerdens des Falles, die Volksanwaltschaft werde künftig als Dachorganisation fungieren, wenn es um Renten für Personen gehe, die als Kinder und Jugendliche Opfer von Missbrauch und Gewalt in Einrichtungen oder bei Pflegeeltern wurden.

Gemäß den neuen Bestimmungen entscheiden Pensionsversicherungsträger oder das Sozialministeriumsservice ab 1. Juli über die Zuerkennung von zusätzlichen Renten in Höhe von 300 Euro monatlich für Personen, die als Kinder und Jugendliche in Heimen, Internaten oder bei Pflegefamilien misshandelt wurden. Grundlage für diese Entscheidungen sind Belege über Entschädigungen durch Opferschutzstellen oder eine begründete Empfehlung des Kollegiums der Volksanwaltschaft.

„Verantwortung Pflicht“

Wie der steirische Fall verdeutliche, dürften auch die Länder nicht aus der Verantwortung entlassen werden, so Kräuter. Die Befristung der Tätigkeit der steirischen Opferschutzkommission sei schon 2012 von der Volksanwaltschaft kritisiert worden. „Dem Betroffenen empfehle ich die Kontaktaufnahme mit der Volksanwaltschaft hinsichtlich einer Heimopferrente. Ich appelliere jedoch auch an das Land Steiermark, die rund 60 unbehandelten Fälle menschlich zu lösen und für erlittenes Leid zu entschädigen“, sagte Kräuter. Eine Wiedergutmachung sei ohnehin nicht möglich, eine Geste der Verantwortung dagegen Pflicht.