20 Jahre Grubenunglück von Lassing

Vor 20 Jahren hat sich in Lassing die größte Bergwerkskatastrophe der österreichischen Nachkriegsgeschichte ereignet. Der Ort begeht den Jahrestag am Dienstag mit einem Gedenkgottesdienst.

Am 17. Juli 1998 stieg ein Team aus zehn Bergleuten in das Talkbergwerk von Lassing hinunter - mit dem Ziel, ihren Kumpel Georg Hainzl, der bei einem Schlammeinbruch in einer Kammer eingeschlossen wurde, ans Tageslicht zurückzuholen.

Grubenunglück von Lassing – der erste Tag

Am späten Nachmittag des 17. Juli 1998 ahnte noch niemand, welche dramatischen Folgen dieses Ereignis haben würde.

Zehn Kumpel fanden den Tod

Die zehn Mann fanden unter der Erde den Tod: Durch den Einbruch einer illegalen Sohle und einen Wassereinbruch, der fast das gesamte Stollensystem zum Einsturz brachte, sank das Erdreich nach und nach ab und begrub das Rettungsteam unter sich.

Grubenunglück Lassing

APA/ Hans Klaus Techt

Für den Bürgermeister von Lassing, Fritz Stangl (ÖVP), der zum Zeitpunkt des Unglücks Vizebürgermeister der kleinen obersteirischen Ortschaft war, waren die Ereignisse um das Grubenunglück „drei Wochen Horror in Zeitlupe“.

„Es will da keiner mehr etwas aufrühren“

Jeder in Lassing musste mit dem Verlust eines Angehörigen oder Freundes fertig werden. 20 Jahre danach wird die Katastrophe zwar nicht totgeschwiegen, aber doch gemieden, erzählt der ehemalige Bergmann Roland Steiner - er war damals der Letzte, der noch lebend aus der Grube kam: „Es will da keiner mehr etwas aufrühren. Man will da in Wirklichkeit einfach nur ruhig leben, und ich versteh das auch.“

Bürgermeister Stangl vergleicht das mit den Geschichten, die er als Bub über den Zweiten Weltkrieg gehört hatte: „Wenn einer gefallen ist, war es abgeschlossen. Wenn einer vermisst wurde, fragte man sich jahrelang, war er sofort tot, hat er noch weitergelebt? Für Lassing bedeutet das, hat man wirklich alles zur Rettung unternommen? Diese Fragen nagen an der Seele. Und das Drama war, man hat nix gesehen, alles hat sich unter der Erde abgespielt.“

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Das Unglück von Lassing

Bei der größten Bergwerkskatastrophe der österreichischen Nachkriegsgeschichte wurden zehn Bergleute getötet.

Aufregen kann sich der sonst eher gelassene Bürgermeister auch heute noch über das seiner Ansicht nach damals herrschende mangelnde Einfühlungsvermögen vieler höherer Entscheidungsträger: „Da ist eine deutsche Grubenwehr gekommen, auf eigene Kosten, alles war gut gemeint, und alle wollten helfen. Da sagte dann ein Ministerialrat, ‚Hilfe, die wir nicht gerufen haben, brauchen wir nicht.‘ Unglaublich, wie gefühllos, da haben manche die Fäuste geballt, wir haben sie beruhigen müssen. Denn die Familien der Helfer haben ja auch um ihre Leute gebangt“, erinnert sich Stangl.

Immer noch Zweifel

Ganz abschließen mit dem Unglück dürfte er wohl nie - Zweifel, ob alles seitens der Behörden unternommen wurde, dringen immer wieder durch: „Da wurde man in vielen Dingen genarrt. Es gab ja die sogar von der Einsatzleitung anerkannten Klopfzeichen.“ Oder: „100 Meter tief eine Woche lang gebohrt, obwohl man gewusst hat, dass Georg Hainzl in der Jausenkammer auf 70 Meter ist und dass er lebt. Das hat ma g’wisst, ich war ja dabei, als ihm Mut zugesprochen wurde und dann plötzlich der Telefonkontakt zu ihm abgebrochen ist. Die anderen zehn haben auf rund 100 Meter gearbeitet.“

Trauer in Lassing

APA/ Herbert Pfarrhofer

Fragen drängen sich immer wieder auf: „Die Sache ist ja, waren sie alle an einem Ort auf 140 Meter in der Sohle, waren sie im Aufzug? Das wäre gegangen, wenn sie sich zusammengedrängt haben. Waren sie sofort tot?“ fragt sich Stangl, obwohl im Gespräch mit der APA nicht klar ist, ob er wirklich eine Antwort haben möchte, die es sowieso nicht geben kann. Und: „Es macht nachdenklich, wenn die Kripo-Beamten im Extrazimmer vom Wirtshaus zu dir sagen, sie haben den Eindruck, es wird zu wenig getan.“

Lassing - Die ganze Geschichte (1/2)

Vor 20 Jahren passierte das Grubenunglück von Lassing. ORF III zeigte zum Jahrestag Hintergründe der Bergwerkskatastrophe.

Lassing - Die ganze Geschichte (2/2)

Das Unglück von Lassing ging um die Welt. Übertragungswägen belagerten die Gemeinde, und auch Wahrsager meldeten sich zu Wort.

Geburtsstunde des Kriseninterventionsteams

Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Katharina Purtscher-Penz war damals mit 30 Sozialarbeitern und Psychologen im Einsatz, um die Angehörigen zu betreuen - das war die Geburtsstunde des Kriseninterventionsteams (KIT). Für die betroffenen Kinder organisierte sie damals Freizeitgestaltung und die Vorbereitung auf die Schule.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Die Psychiaterin Katharina Purtscher-Penz im Gespräch mit Renate Rosbaud

Zum Thema Schweigen meint sie, dass die Witwen viel miteinander geredet und sich unterstützt hätten, und zu manchen damaligen Kindern hat die Psychiaterin noch heute Kontakt: „Ich weiß Gott sei Dank von manchen der ehemaligen Kinder, die heute Jugendliche und junge Erwachsene sind, dass sie gut im Berufsleben integriert sind, entsprechende Ausbildungen gemacht haben, und wenn jemand dazu in der Lage ist, eine Berufsausbildung zu meistern, am sozialen Leben Anteil zu haben, dann ist das ein guter Gradmesser dafür, dass etwas bewältigbar gewesen ist“, so Katharina Purtscher-Penz.

Hainzl lebt heute sehr zurückgezogen

Bis heute wurden die Leichen der zehn verschütteten Bergleute nicht geborgen - nur Hainzl konnte neun Tage später lebend aus der Grube gezogen werden. Der damals 24-jährige Bergmann habe sich sehr zurückgezogen, sagt Stangl: „Er lebt in einem engen Freundes- und Arbeitskollegenkreis. Ich schätze die Leute sehr für ihren Zusammenhalt, und ich habe vollstes Verständnis, dass er so lebt.“

Georg Hainzl

APA

„Sie waren alle meine Freunde“

Eine Witwe eines Verunglückten sei kürzlich gestorben, berichtet der Bürgermeister weiter. Von den Verunglückten sei einer sein Lehrling in seiner Kfz-Werkstatt gewesen, ein anderer ein Spielkamerad seiner Tochter. Ein Kumpel war aus Ardning, der Geologe aus dem Mürztal. Mit dem Bergmann aus Ardning sei er eine Woche vor dem Unglück noch in der Türkei segeln gewesen. Sieben der Kumpel waren Lassinger, „sie waren alle sieben meine Freunde“, so Stangl.

Fast zwei Jahre nach dem Unglück - im April 2000 - ließ das Wirtschaftsministerium die Suche nach den zehn Toten im Lassinger Bergwerk einstellen und den Krater zuschütten. Seit Jahren erinnert ein Mahnmal in Form von Gedenksteinen an das Grubenunglück vor 20 Jahren.

Lassing-Gedenkstätte

ORF

Die juristische Aufarbeitung dauerte lange: Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass das Grubenunglück „kein schicksalhaftes Ereignis“ gewesen sei, sondern durch „menschliche Fehlleistungen über mehrere Jahre“ verursacht worden sei. 2000 wurden erste Urteile verhängt, beim Berufungsverfahren wurden die Strafen noch verschärft: Rettungsmannschaften und beigezogenen Experten seien falsche Karten vorgelegt worden. Das habe dazu geführt, dass weitere zehn Männer in die Grube geschickt wurden, die bei einem neuerlichen Einbruch verschüttet wurden und ums Leben kamen.

„Wir müssen damit leben“

Zum Jahrestag des Grubenunglücks findet bei der Gedenkstätte im Ortsteil Moos und in der Pfarrkirche eine Gedenkveranstaltung statt. In den Köpfen und Herzen der Lassinger wird das Unglück immer verankert sein, wie Peter Pölzl, der Bruder eines Verunglückten, sagt: „Wir müssen damit leben.“

Link: