Pflegeskandal: Kommission angekündigt

Nach Misshandlungsvorwürfen am Grazer LKH Süd-West hat sich Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP) am Dienstag bei den Betroffenen entschuldigt und Aufklärung versprochen: Eine Untersuchungskommission werde eingesetzt.

Mit durchaus betretenen Minen stellten sich Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP) und die leitenden Verantwortlichen der KAGes und des LKH Graz Süd-West am Dienstagnachmittag den vielen Medienvertretern. Der Landesrat sprach von außerordentlich bedauerlichen Vorkommnissen, „die in einem Krankenhaus nicht vorkommen dürfen, in keinerlei Hinsicht zu rechtfertigen sind, auch nicht wirklich zu entschuldigen sind. Dennoch möchte ich mich namens des Landes Steiermark bei den Betroffenen und auch bei den Angehörigen in aller Form entschuldigen“.

Zahl der Betroffenen noch unklar

Vier bis fünf Monate lang wurden die Patienten von den vier Pflegekräften vorwiegend während Nachtdiensten misshandelt. Wie viele Betroffene es gibt, sei noch nicht klar. Bisher seien sechs Opfer bekannt - „aber wir glauben, dass noch mehr betroffen sein werden. Es ist unwahrscheinlich, dass die entlassenen Mitarbeiter ihr Mütchen nur an diesen Patienten gekühlt haben“, so der Ärztliche Leiter des LKH Graz Süd-West, Michael Lehofer.

Patientin bestätigt Vorwürfe

Eine Patientin bestätigte im Gespräch mit dem ORF Steiermark die Vorwürfe - mehr dazu in LKH Graz Süd West: Patientin bestätigt Vorwürfe.

Die Alterspsychiatrie am LKH-Standort Süd besteht aus vier Stationen mit zusammen etwa 110 Betten. Sie sind etwa zu 80 Prozent belegt. 23 Ärzte und 84 Pfleger sind für die Patienten zuständig. Damit „übererfülle“ man die gesetzlichen Vorschriften um zehn Prozent. Nachts seien pro Station drei Mitarbeiter im Dienst sowie ein Journalbereitschaftsdienst. Damit ist man laut Lehofer ebenfalls in der vorgeschriebenen Norm. Er betonte, dass es sich um Fehlverhalten der Pfleger handelte und nicht um einen Personalmangel.

Drexler unterstrich: „Ich sehe überhaupt kein Systemversagen. Für wahrscheinlich mehr als 99,99 Prozent unserer Mitarbeiter kann man die Hand ins Feuer legen. Wo 18.032 Menschen arbeiten, können Fehler passieren - unter anderem zum Beispiel haben wir das Problem, dass wir uns nicht mehr über Gebühr die Pflegekräfte aussuchen können. Wir haben einen nachfragebereichsdominierten Arbeitsmarkt in diesem Bereich.“

„Binnen Stunden reagiert“

Das LKH Graz Süd-West sei insgesamt ein exzellentes Krankenhaus, so Drexler. Er sei froh, dass die Vorfälle durch eine „beherzte Mitarbeiterin“ bekannt wurden. Die Anstaltsleitung habe binnen Stunden reagiert und sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Öffentlichkeit informiert. Die Mitarbeiter wurden zunächst suspendiert; drei von ihnen sind mittlerweile entlassen, so KAGes-Vorstand Karlheinz Tscheliessnigg. Eine Krankenschwester sei „aufgrund einer Zeugin, die ihre Aussage zurückgezogen hat, streng verwarnt und versetzt worden“.

Kommission wird eingerichtet

Die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet - aber auch das Land werde eine unabhängige Untersuchungskommission einsetzen, kündigte Drexler an: „Es geht uns darum, dass wir hier eine lückenlose Aufklärung zustande bringen, um durch eine konsequente Aufarbeitung das Vertrauen in unsere Häuser zu stärken.“

Drexler wolle nun „solide“ über die Besetzung der Kommission nachdenken. Sie soll unter anderem aus Fachleuten und unabhängigen Richtern bestehen. Wer genau darin zu finden sein wird, sei allerdings noch offen. Gespräche würden bereits geführt. Jedenfalls soll Pflegeombudsfrau Renate Skledar dabei sein.

Arbeitsbeginn in den nächsten Tagen

Gründe für das Fehlverhalten suchte Lehhofer in der Persönlichkeitsstruktur der Mitarbeiter, die immer als Gruppe gehandelt haben: „Es gibt die Möglichkeit einer persönlichen Überforderung; auch, dass der eine oder andere Mitarbeiter eine Persönlichkeitsstörung mit einem Mangel an Empathie aufweist. Da muss man schon Psychologe sein, um das wirklich herauszufinden. Wir wollen solche Mitarbeiter, die nicht aushalten, was sie zu tun haben, nicht bei uns haben - und ich bin sehr erleichtert, dass sie gekündigt sind.“

Die Experten sollen nun klären, wie es in dem Spital zu einer derartigen „Gruppendynamik“ kommen konnte. Die Kommission soll in den nächsten Tagen zu arbeiten beginnen und in spätestens drei Monaten zu einem Ergebnis gekommen sein.

„Verhalten nicht entschuldigen, aber erklären“

Von einem „inadäquaten Verhalten älteren Patienten gegenüber“ war vergangene Woche in einer Aussendung der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) die Rede gewesen. Der Leiter der Abteilung für Psychiatrie am LKH Graz Süd-West brachte es darin auf den Punkt: Die Mitarbeiter sollen demente Patienten, die unter Aggressionen und Depressionen leiden, verbal und körperlich misshandelt haben - mehr dazu in Schwere Vorwürfe gegen vier LKH-Mitarbeiter.

Missstände in der Pflege

In der Pflege alter Menschen laufe grundsätzlich etwas schief, heißt es von Seiten der Volksanwaltschaft.

Verbale Misshandlungen, herabwürdigendes Verhalten oder ein grober körperlicher Umgang - Verhalten, das man nicht entschuldigen, aber erklären könne, sagt Volksanwalt Günther Kräuter: Was Kontrollen der Psychiatrie am LKH Graz in den letzten Jahren gezeigt hätten, unterscheide sich nicht von den Problemen in anderen Pflegeeinrichtungen - es fehle an Geld und damit vor allem an qualifiziertem Personal.

Zu wenig Geld vorhanden

Die aktuellen Misshandlungsvorwürfe seien nur die Spitze eines Eisbergs, der in einem Meer von Strukturmängeln schwimme, so Kräuter: „In der öffentlichen Einrichtung hat man zu wenig öffentliches Budget, in der anderen, die privat ist, wollen die Investoren natürlich eine Rendite sehen - hier stellen wir keinen Unterschied fest“, so Kräuter.

Damit ist auch wieder eine Debatte um Missstände in Pflegeeinrichtungen im Allgemeinen entbrannt. 100 Heime werden jedes Jahr von der Volksanwaltschaft unangekündigt besucht: „In der Hälfte aller Fälle ist nicht genügend diplomiertes Personal im Nachtdienst, und in 77 Prozent aller Heime wird nicht genügend Supervision angeboten für die Pfleger, die sich in den allermeisten Fällen sehr bemühen. Außerdem stellen wir eine bedenkliche Medikation in 56 Prozent der Alten- und Pflegeheime fest.“

Volksanwalt Günther Kräuter fordert, Geld aus dem Pflegefonds an bundesweit einheitliche Standards zu knüpfen: „Der Pflegefonds ist rund 400 Millionen Euro schwer, und hier könnte man strategisch Qualitätssicherung betreiben, beispielsweise was den Personalschlüssel betrifft. Minister Moser hat früher als Rechnungshofpräsident noch sehr engagiert eingefordert, dass man zur Steuerung dieses Instrument verwendet - davon habe ich jetzt leider nichts mehr gehört.“

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