Masernimpfung: Mediziner für Anreizsystem

Angesichts der aktuellen Masernwelle ist auch die Impfrate in der Steiermark im Gespräch. Mediziner und Experten sprechen sich zwar gegen die nun diskutierte generelle Impfpflicht aus, schlagen aber ein Anreizsystem vor.

14 Masernfälle wurden bisher der steirischen Landessanitätsdirektion bestätigt. Zwei Teilimpfungen ab dem vollendeten neunten Lebensmonat bieten laut Medizinern lebenslangen Schutz vor Masern. Die Durchimpfungsrate liegt in der Steiermark für die erste Impfung bei 89, für die zweite Impfung nur bei 79 Prozent. Mittlerweile gibt es einen Ansturm auf Impfstellen und Arztpraxen - mehr dazu in Masernfälle: Ansturm auf Impfstellen.

Hartinger-Klein: „Selbstbestimmung“

Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sprach sich unterdessen am Mittwoch erneut gegen eine Impfpflicht aus: Man setze auf „Selbstbestimmung“ und Aufklärung durch das Gesundheitspersonal, dass Impfungen sinnvoll seien, sagte sie am Rande des Ministerrats - mehr dazu in Verdacht auf Masern: Bereits 50 Behandlungen (30.1.2019).

Generelle Impfpflicht schwer umsetzbar

Eine generelle Impfpflicht wie in Italien und Frankreich sei schwer umsetzbar, da man rechtlich an die Grenzen der individuellen Entscheidungsfreiheit stoße, so der Vorstand der Kinderklinik Graz, Ernst Eber: „Eine Pflicht im echten Sinn des Wortes ist sehr schwierig, weil wir immer abwägen müssen, wo die Freiheit des Einzelnen liegt, wo der Benefit für die Gesellschaft ist. Es ist auch gar nicht so, dass man eine hundertprozentige Durchimpfung schaffen müsste. Wir müssten nur über die 95-Prozent-Hürde kommen, und von dieser sind wir leider 15 Prozent entfernt.“

Masern Impfung Impfbuch

APA/dpa/Achim Scheidemann

Bei radikalen Impfgegnern - das sind rund vier Prozent der Bevölkerung - würde Aufklärungsarbeit alleine nicht greifen, so Werner Zenz, Infektiologe an der Kinderklinik, der sich für ein Anreizsystem ausspricht, „eine indirekte Impfpflicht etwa, dass man Sozialleistungen an die Impfpflicht koppelt. Die Impfung selbst ist ja nicht nur ein Schutz für sich selbst, sondern auch ein Schutz für andere, weil man die Masern nicht verbreitet - wie man jetzt gerade an den kleinen Babys sieht -, und es wäre für mich sinnvoll, dass man irgendeine Sozialleistung kürzt - für Leute, die ihre Kinder nicht impfen lassen.“

Impflücke bei jungen Erwachsenen

Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP) kann sich eine verpflichtende Aufnahme der Masernimpfung in den Mutter-Kind-Pass als geeignetes Mittel vorstellen. Im Spitalsbereich gelte eine entsprechende Impfpflicht für Personal, das etwa mit intensivmedizinischen oder chirurgischen Patienten zu tun habe. Der Appell, die Gratisimpfung zu nutzen, kommt auch von der steirischen Ärztekammer. Auch bei jungen Erwachsenen gebe es eine Impflücke, die dringend geschlossen werden müsse.

„130.000 bis 160.000 Todesfälle pro Jahr“

Angesichts der aktuellen Masernwelle machen auch die Wiener Virologen Lukas Weseslindtner und Heidemarie Holzmann (MedUni Wien) auf eine in „Science“ publizierte Untersuchung zu Masern aus dem Jahr 2015 aufmerksam, wonach die Masern das Immunsystem von Kranken jahrelang schwächen.

Ein Argument, das Impfgegner häufig anführen, um den Nutzen der Masernimpfung infrage zu stellen, sei bekanntermaßen, dass ein „natürliches“ Durchmachen von Masern das Immunsystem „stärkt“. „Dabei muss immer wieder daran erinnert werden, dass Masern keineswegs harmlos sind, sondern eine sehr hohe Hospitalisierungs-und Komplikationsrate (ca. 20 Prozent) aufweisen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) verursachen Masern in allen Altersgruppen weltweit noch immer 130.000 bis 160.000 Todesfälle pro Jahr“, schrieben die Wissenschafter.

Auch der steirische Experte für Infektionskrankheiten, Werner Zenz, betonte am Mittwoch in einem Pressegespräch: „Die Masern sollen ja angeblich nach dem Ausbruch der Krankheit günstige Effekte haben, etwa Schutz vor Asthma und eine bessere Entwicklung. Das alles wurde wissenschaftlich mehrfach widerlegt. Die Impfung führt auch nicht zu Autismus, wie oft behauptet. Im Gegenteil: Die Masernerkrankung führt bis zu drei Jahre danach zu einem schwächeren Immunsystem und kann dadurch leichter zu Todesfällen durch andere Krankheiten führen.“

Volksanwaltschaft fordert Impfpflicht

Volksanwalt Günther Kräuter hatte erst vor wenigen Tagen „endlich wirksame gesundheitspolitische Maßnahmen“ gefordert: „Seit Jahren fordert die Volksanwaltschaft eine konsequente Gesundheitspolitik gegen die hochansteckenden und gefährlichen Masern. Vor allem Kleinkinder, die noch nicht geimpft werden dürfen, sind die Leidtragenden.“

Statistisch gesehen würde ein an Masern Erkrankter rund 18 Personen anstecken. Eine Masernimpfpflicht müsse in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen werden, was die Gesundheitsministerin allerdings bisher gegenüber der Volksanwaltschaft abgelehnt habe. „Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Diese Chance muss ergriffen werden, denn Aufklärungskampagnen und Appelle haben sich als letztlich wirkungslos erwiesen“, sagte Kräuter.

Sonderimpfaktion an Grazer Schulen

Seit Mittwoch wurden alle Schulen im Raum Graz von Mitarbeitern der Impfstelle angeschrieben, kurzfristige Impftermine wurden organisiert. „Seit Bekanntwerden der Infektion eines Grazer Schülers ist die Impfbereitschaft stark gestiegen. Wir bieten unseren Grazer Schulen kurzfristig Termine an, um gleich vor Ort beraten und impfen zu können“, erklärte Eva Winter, Leiterin des Gesundheitsamtes. Masern haben eine Inkubationszeit von bis zu 21 Tagen, wenn man rasch reagiere, könne eine zweite Welle von Infektionen verhindert werden, so Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer (KPÖ).

Auch in der Grazer Impfstelle herrschte Vollbetrieb. Erwachsene und Kinder werden dort täglich von 8.00 bis 13.00 Uhr gratis gegen Masern geimpft.