Schreiben hinter Gittern

Ein eben erschienener Geschichtenband hat eine außergewöhnliche Entstehungsgeschichte: Sämtliche Texte stammen von Häftlingen der Grazer Justizanstalt Karlau und wurden in einem mehrwöchigen Workshop erarbeitet.

Eingesperrt, in Haft, hinter Gittern zu sein ist kein Honiglecken - und vom Gesetzgeber natürlich auch nicht als solches vorgesehen. In der Grazer Justizvollzugsanstalt Karlau verbüßen derzeit mehr als 500 Männer Haftstrafen von mindestens 18 Monaten.

Kreatives Schreiben als Zerstreuung

So weit es der streng reglementierte Tagesablauf zulässt, suchen manche Insassen Zerstreuung in der Arbeit oder beim Sport, viele sehen fern und eine überschaubare Gruppe frequentiert die Gefängnisbibliothek. Umso bemerkenswerter ist daher die Tatsache, dass einige Häftlinge an einem mehrwöchigen Schreibworkshop teilnahmen. Das Ergebnis: Texte unterschiedlichster Kategorien, zusammengefasst in einer Anthologie mit dem Titel „Gut bei Gegenwind“.

Justizanstalt Karlau Kunstwerk

ORF.at

Literatur als technische Fertigkeit

„Es war ihm fade, dem 50-jährigen User der Website love.at. So stöberte er in der Lustrecherche, die, oft als Beziehungssuche getarnt, das jeweils andere Geschlecht neugierig machen sollte.“ So beginnt der Text, den Le Fou, „der Narr“, wie er genannt werden will, zur Karlauer Gefängnisanthologie beigesteuert hat.

Le Fous richtiger Name tut nichts zur Sache, auch nicht der Grund seiner Haftstrafe; interessant ist aber, was Le Fou zum Schreiben gebracht hat: „Ich komme aus der Unternehmensberatung, und das Schwierigste ist da immer, das Management-Summary zu schreiben. Ein üblicher Vorstand hört nach fünf Zeilen auf zu denken, und nach der ersten Seite ist der Geist erschöpft. Auf der letzten Seite stehen dann aber die Kosten, also muss man ihn fesseln, damit er wenigstens die erste Seite fertig liest. Das geht nur mit Methoden, die man eben im Kreativen Schreiben lernt."

Respektvolle Verhältnisse

Gelehrt wurden genau diese Methoden von den beiden Autoren Simone Philipp und Anton C. Glatz: „Das erste Mal war ich sehr nervös“, so Philipp, „klar, ich war ja vorher noch nie im Gefängnis. Es wurde dann aber schnell sehr freundschaftlich und auch sehr respektvoll“.

Für Glatz ist es wichtig, das Schreiben aus seiner gesellschaftlichen Norm zu holen: „Wir sind der Meinung, dass im Allgemeinen das literarische Leben, die literarische Szene zu elitär organisiert ist. Das heißt: Raus mit der Literatur aus dem Elfenbeinturm und rein ins richtige Leben - vor allem dann, wenn es dort etwas rauer zugeht. Da muss sich Literatur dann bewähren, oder sie hat versagt.“

Intellektuelle Bedürfnisse befriedigen

In diesem Fall hat sie sich bewährt, bestätigt auch Christian Fürbaß, Leiter der Ausbildung und Freizeitgestaltung in der Karlau: „Dieses Projekt war sehr interessant, weil unser sonstiges Freizeitangebot sehr sportdominiert ist. Und um auch Insassen mit intellektuellen Bedürfnissen einigermaßen befriedigen zu können, haben wir dieses Projekt verfolgt und auch unterstützt.“

Schreibend durch die Nacht

Auch für Langzeithäftling „Werner“ ist das Schreiben eine willkommene Abwechslung: „Ich war lange unbeschäftigt hier. Der Einschluss ist hier schon um 14.30 Uhr. Um 17.00 Uhr schau ich mir die ZIB an, dann schlafe ich bis 20.00 Uhr und dann arbeite ich oft bis in die Morgenstunden an meinen Geschichten.“

Sendungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 24.4.2014

Werners Text ist eine Allegorie über die vergehenden Jahre: „Still sitzt das Wendejahr in der ehrwürdigen Verkleidung eines alten Mannes auf einer Parkbank. Überall sind die Vorboten des beginnenden Frühlings deutlich sichtbar, und auch der Teich wird bald wieder mit Leben erfüllt sein.“

Texte unterschiedlichster Natur

Bei der Themenauswahl für „Gut bei Gegenwind“ ließ man den Seminarteilnehmern die größtmögliche Freiheit, so Philip: „Man kann natürlich nicht raus aus seiner Haut, man muss und möchte auch die Erfahrungen ausdrücken können, die man macht. Es gibt ein paar Insider-Texte, die man besser versteht, wenn man diese Erfahrungen kennt und versteht, aber es gibt auch einige Texte, die genauso in jedem anderen Literatur-Workshop entstehen hätten können“.

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