GrazMuseum macht „Lager V“ wieder sichtbar

In einer neuen Ausstellung wird die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Graz aufgearbeitet. Im Lager Liebenau („Lager V“) wurden unzählige Menschen getötet - das GrazMuseum macht dieses dunkle Kapitel jetzt wieder sichtbar.

Wo einst Baracken standen, stehen jetzt Wohnhäuser und öffentliche Einrichtungen: Bei Grabungen für das Murkraftwerk stießen Bauarbeiter im Frühjahr 2017 auf Mauerteile und eine Stiege, die zum Lager Liebenau gehörten. 1940 als „Lager V“ gegründet, war es das größte Zwangsarbeiterlager der Nationalsozialisten in Graz - mehr dazu in NS-Luftschutzgang bei Bauarbeiten entdeckt (16.5.2017).

Dunkles Kapitel der Grazer Zeitgeschichte

"Für Jahrzehnte geriet dieses dunkle Kapitel der Grazer Zeitgeschichte in Vergessenheit“, so die Historikerin Barbara Stelzl-Marx - sie leitet das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK), das die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Graz aufarbeitete und die neue Ausstellung der Stadt Graz konzipierte.

Ausstellung im GrazMuseum

Im Gedenkjahr 2018 zeigt das GrazMuseum die erste wissenschaftliche Ausstellung zum Lager Graz-Liebenau von 15. November 2018 bis 8. April 2019.

Fünf große Themen

Unter den Schlagworten „verführt, verschleppt, vernichtet, verurteilt, vergessen“ geht es in der Ausstellung um fünf große Themen: Die Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie in der „Stadt der Volkserhebung“, das Lagerleben, die Verbrechen im Zuge der Todesmärsche im April 1945, die Aufarbeitung durch die Nachkriegsjustiz und den lange verschleierten Blick auf diesen „Ort verdichteter Geschichte“, wie es Stelzl-Marx nennt.

„Der manifestierte Vernichtungsgedanke“

Es ist die erste wissenschaftliche Ausstellung zum Lager Graz-Liebenau, das im April 1945 als Station ungarischer Juden auf ihren Evakuierungsmärschen nach Mauthausen diente. „Das Lager Liebenau war für die durchziehenden Kolonnen ungarischer Jüdinnen und Juden im April 1945 ein Ort des Schreckens: Hier zeigte sich die der NS-Ideologie innewohnende Verachtung für als minderwertig eingestuftes Leben, hier manifestierte sich der Vernichtungsgedanke des Regimes", sagt Stelzl-Marx.

Lager Liebenau

Ludwig Boltzmann Gesellschaft

Todesmarsch Hieflau

Zu sehen sind etwa Bodenfunde wie u. a. ein Trinkbecher und das Vokabelheft eines Zwangsarbeiters. Im Gedanken an den Todesmarsch wird eine Leihgabe gezeigt: Ein Schuh einer ungarischen Jüdin, die beim Todesmarsch auf der steirischen Eisenstraße am Präbichl ermordet wurde. „Ein Kind eines Schusters hat ihn gefunden und wegen der damals kostbaren Nägel mitgenommen - er blieb aber letztlich auf einem Dachboden liegen.“

„Die Pflicht, aktive Erinnerungsarbeit zu leisten“

Die Stadt Graz plant zudem die Errichtung von Informationstafeln, eines Kunstwerkes und einer Dauerausstellung auf dem Areal - mehr dazu in NS-Lager Liebenau: Stadt Graz plant Mahnmal (9.8.2017). Die bisher bekannte Geschichte des Lagers sei ein „sehr dunkles Kapitel“ in der Geschichte der Stadt, so der Grazer Stadtrat Günter Riegler (ÖVP). Die fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Fakten stelle einen wichtigen Teil der historischen und moralischen Verantwortung der Stadt dar: „Mit jedem weiteren Jahr wird es eine immer größere Pflicht, die heranwachsende Generation damit zu konfrontieren, was geschehen ist, und aktive Erinnerungsarbeit zu leisten“, so Riegler.

Sendungshinweis:

„Steiermark heute“, 13.11.2018

5.000 Menschen in 190 Holzbaracken

Mindestens 34 Personen wurden im Lager Graz-Liebenau erschossen; wie viele Menschen hier insgesamt starben und möglicherweise noch dort begraben liegen, ist aber nach wie vor unklar. In den 190 Holzbaracken konnten etwa 5.000 Personen untergebracht werden. Rund 70 Prozent der Zwangsarbeiter waren männlich, knapp ein Viertel stammte aus der Sowjetunion, die übrigen vorwiegend aus Frankreich, dem „Protektorat Böhmen und Mähren", Italien, Kroatien oder Griechenland. Die überwiegende Mehrheit war zwischen 15 und 30 Jahre alt. Mindestens 67 Kinder kamen hier auf die Welt, weit über 200 Menschen waren jünger als 14 Jahre.

Lager Liebenau

Ludwig Boltzmann Gesellschaft

Modell Lager Liebenau

Die Baracken des Lagers Liebenau beherbergten insgesamt mehrere tausend Menschen, die für die deutsche Kriegswirtschaft – insbesondere bei Steyr-Daimler-Puch – arbeiteten. Kürzlich in Archiven aufgefundene Dokumente liefern neue Einblicke, von Archäologen ausgegrabene Relikte weitere Erkenntnisse. Neben einem vielseitigen Begleitprogramm bietet ein Begleitband komprimierte Hintergrundinformationen und dokumentiert die zentralen Inhalte der Ausstellung.

Lager Liebenau

Ludwig Boltzmann Gesellschaft

Liebenauer Prozess

„Wir verstehen uns als historisches Museum, das gesellschaftliches Bewusstsein formt und somit auch im Sinn politischer Bildung ein Ort ständiger tabufreier Erinnerung an ‚helle’ wie ‚dunkle’ Zeiten sein muss", sagt Otto Hochreiter, Direktor des GrazMuseums und des Stadtarchivs Graz. Die Ausstellung soll auch zeigen, wie die Stadt mit dem sensiblen Thema aus der Vergangenheit umgeht.

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