Grazer Amokfahrt: Prozess mit 136 Zeugen

Der Grazer Amokfahrer steht ab dem 20. September vor einem Geschworenengericht. Vorerst sind neun Verhandlungstage geplant, an denen 136 Zeugen und sieben Gutachter gehört werden sollen.

Dem Amokfahrer wird der Tötungsversuch an 108 Personen, darunter sechs Kinder, vorgeworfen. Er sei mit dem Fahrzeug mit teils hoher Geschwindigkeit und gezielt auf die Personen zugefahren und habe sie erfasst oder zu erfassen versucht, heißt es am Mittwoch in einer Pressemitteilung des Grazer Straflandesgerichts. In den meisten Fällen ist es nur deshalb beim Versuch geblieben, weil die Opfer teils rechtzeitig medizinisch behandelt wurden oder zur Seite springen konnten.

Gutachter mit unterschiedlichen Auffassungen

Dass keine Anklage erhoben, sondern nur ein Antrag auf Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingebracht wurde, liegt am Ergebnis der Gutachten. Zwei psychiatrische Sachverständige wurden bestellt, wovon einer, Manfred Walzl, den Verdächtigen als zurechnungsfähig einstufte. Sein Kollege, Peter Hofmann, kam aber zu der Ansicht, der Beschuldigte sei nicht zurechnungsfähig gewesen. Also wurde ein dritter Gutachter zugezogen: Jürgen L. Müller bescheinigte dem 27-Jährigen ebenfalls Zurechnungsunfähigkeit. Sollten die Geschworenen dieser Sichtweise zustimmen, kann der Beschuldigte nicht verurteilt, sondern nur eingewiesen werden.

Bürgermeister Nagl als bekanntester Zeuge

136 Zeugen sollen gehört werden, dazu kommen noch sieben Sachverständige. Prominentester Zeuge ist der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), der damals mit seinem Motorroller unterwegs war und im letzten Moment ausweichen konnte, als R. mit seinem Auto auf ihn zusteuerte. Unmittelbar vorher war der 27-Jährige direkt in ein junges Paar hineingefahren, der Mann war auf der Stelle tot. Ein vierjähriger Bub, der in der Fußgängerzone spielte, wurde ebenfalls frontal erfasst und starb. Das dritte Todesopfer war eine Frau, die am Rücken erfasst und tödlich verletzt wurde.

Der Prozess ist grundsätzlich öffentlich, Zuschauer benötigen aber Eintrittskarten, Journalisten müssen sich akkreditieren. Das Verfahren wird auch per Live-Stream in einen weiteren Saal übertragen, damit mehr Plätze zur Verfügung stehen.

Beschuldigter in Sonderanstalt

Bei der Amokfahrt durch die Innenstadt am 20. Juni 2015 waren drei Menschen getötet und rund 100 verletzt worden - mehr dazu in Nach Amokfahrt: Die Stadt trauert (22.6.2015). Der Beschuldigte selbst ist seit Anfang Juni dieses Jahres in der Justizsonderanstalt Göllersdorf in Niederösterreich untergebracht - mehr dazu in Grazer Amokfahrer kommt nach Niederösterreich (16.6.2016).

Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt

Anfang Juli brachte die Staatsanwaltschaft statt einer Klage schließlich einen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein, nachdem das letzte von insgesamt drei in Auftrag gegebenen Gutachten dem Beschuldigten Unzurechnungsfähigkeit bescheinigte - mehr dazu in Grazer Amokfahrer: Einweisung beantragt (5.7.2016). Kritik dazu kam vor allem vom Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl, der selbst Zeuge der Amokfahrt gewesen war - mehr dazu in Amokfahrt: Aufregung über Einweisungsantrag (6.7.2016).