Eine Familie, ein Flüchtling - und kein Plan

Einige Monate lang hat Adrienne Friedlaender, alleinerziehende Mutter von vier Kindern, einen jungen Mann aus Syrien bei sich aufgenommen. Ihre Erfahrungen teilt die Journalistin im Buch „Willkommen bei den Friedlaenders!“

In einem Hamburger Erstaufnahmezentrum lernen Adrienne Friedlaender und zwei ihrer Söhne den 22-jährigen Syrer Moaaz kennen. Die Situation in diesem Containderdorf lässt für die Familie keine andere Entscheidung zu: Sie nehmen den jungen Flüchtling sofort mit nach Hause.

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Blanvalet

Buchtipp:

„Willkommen bei den Friedlaenders“ von Adrienne Friedlaender (ISBN 978-3-7645-0625-4)ist im Blanvalet Verlag erschienen und kostet 16,50 Euro]]

Damit beginnt für beide Seiten eine spannende Zeit: Der Syrer spricht anfangs kaum Deutsch, schätzt das Familienleben sehr, muss sich aber an vieles erst gewöhnen - zum Beispiel an die Haustiere der Friedlaenders, oder daran, dass bei den Söhnen ständig junge Mädchen ein und aus gehen, und dass in dem Haushalt Alkohol getrunken wird.

Frauenbild mit mehreren Ebenen

Das Frauenbild des jungen Moslems ist aber sehr vielschichtig, wie die Autorin nach und nach erfährt: „Das Thema Frauen im Islam hatten wir kurz zuvor beim gemeinsamen Zubereiten des Sonntagsessens besprochen. Mohammed, der Prophet, hat gesagt: Das Paradies liegt zu Füßen eurer Mutter. ‚Wer nicht das Wohlgefallen seiner Mutter erlangt hat, kann nicht in das Paradies gelangen.‘ Gar kein so schlechter Ansatz, fand ich. Einziger Haken: Der Ansporn, ins Paradies zu kommen, existierte für meine Söhne gar nicht. Sie lebten ja bereits im Hotel Mama Verwöhnparadies. ‚Ich habe meiner Mutter jeden Morgen die Hände geküsst, bevor ich zur Schule gegangen bin - und das sollten deine Jungs auch tun‘, erklärte mir Moaaz auf Englisch, während er die Tomaten sorgfältig in kleine Stücke schnitt.“

Mehr Gemeinsames als Trennendes

Dann aber wieder erklärt er ihr, dass ihr ein bisschen Botox nicht schaden würde, in Syrien sei das völlig normal. Außerdem wären vier Söhne und ein Hund genug Arbeit für eine geschiedene Frau. Zu lernen gibt es aber auch für die Gastmutter einiges: Wie soll sie mit der Traumatisierung, die Moaaz auf der Flucht und im Krieg erlitten hat, umgehen? Welches Essen ist halal, wie kann sie seine Gewohnheiten zwar verstehen, aber ihm doch die europäische Lebensart näherbringen?

Sendungshinweis:

„Guten Morgen, Steiermark“, 17.9.2017

Heute lebt Moaaz mit einem syrischen Freund in einer kleinen Wohnung und bereitet sich auf die Deutschprüfung vor, damit er studieren kann. Die Erkenntnis Adrienne Friedlaenders nach den gemeinsamen Monaten mit dem Flüchtling: „Es gab und gibt weniger Trennendes als Gemeinsames zwischen uns Menschen, egal, woher wir kommen.“

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