Gelebte Geschichte: „Gott wohnt im Wedding“

Ein Haus mitten im Berliner Stadtteil Wedding steht im Mittelpunkt von „Gott wohnt im Wedding“ von Regina Scheer: es geht um das Haus, aber auch um seine Bewohner und ihre Verbindungen - hier wird Geschichte gelebt.

Alle sind sie untereinander und schicksalhaft mit dem ehemals roten Wedding verbunden, einem ärmlichen Stadtteil in Berlin, mit dem heruntergekommenen Haus dort in der Utrechter Straße: Da ist einmal Leo, ein Jude, der in Berlin aufgewachsen ist, sich während der Nazi-Herrschaft und der Verfolgung von Juden als U-Boot in Berlin durchschlägt und auch immer wieder Unterschlupf bei Gertrud Rhomberg - im Haus im Wedding - findet. Nachdem er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Israel ausgewandert ist, kehrt Leo 70 Jahre später mit seiner Enkelin Nira nach Berlin zurück.

Täglicher Überlebenskampf

Da ist auch noch Gertrud Rhomberg - sie ist mit heute 90 Jahren die älteste noch lebende Bewohnerin im Haus im Wedding und hat während des Zweiten Weltkriegs eben Leo und seinen Freund Manfred am Dachboden des Hauses entdeckt, aber nicht verraten.

"Gott wohnt im Wedding"

Penguin Verlag

Mittlerweile ist das Haus ziemlich heruntergekommen - neben der alten Gertrud wohnen fast nur mehr Roma aus Rumänien in dem Haus. In ihrem täglichen Überlebenskampf unterstützt sie Laila: Die junge Frau ist in Polen und Hamburg aufgewachsen und stammt selbst aus einer Sinti-Familie - eigentlich will sie schon lange aus dem Haus ausziehen, kann aber ihre „Schützlinge“ im Haus nicht verlassen.

Sendungshinweis:

„Guten Morgen Steiermark“, 21.4.2019

Das Haus selbst erzählt

Neben der Perspektive von Leo, Gertrud und Laila kommt in dem Buch auch das Haus selbst zu Wort: „Mir scheint, früher gab es eine Stunde zwischen Nacht und Morgendämmerung, in der die Menschen schliefen und die Tiere kamen. Die Tiere kommen noch immer, aber die Menschen schlafen nicht. Immer weint ein Kind oder auch eine Mutter, ein Mann. Man hört, wie sie sich lieben und sich streiten, in ihren Umarmungen ist ebenso viel Verzweiflung und manchmal auch Gewalt wie in ihrem Gezänke. Selbst in den Stimmen der Mütter, wenn sie ihre Kinder beruhigen, ist manchmal mehr Wut als Zärtlichkeit. Zärtlich ist nur Milans Akkordeonspiel. Lucias Mann spielt manchmal mitten in der Nacht, sie schimpft mit ihm, und dann ist es still bis zum Morgen, aber in einer der nächsten Nächte spielt er wieder, es ist, als dränge etwas in ihm nach außen, und erst das Instrument nimmt ihm den Druck. Das Akkordeon wimmert und jubelt, singt von Sehnsucht und Angst, vom dem, was gewesen ist und nicht wiederkommt, von dem, was sein könnte, wenn alles anders wäre.“

Gerade die Idee mit dem „erzählenden Haus“ macht das Buch besonders interessant. „Gott wohnt im Wedding“ ist ein intensives Buch, in dem wirklich Geschichte erzählt wird: Wenn sich etwa Leo an die Zeit der Juden-Verfolgung erinnert und so seine ganz persönliche Geschichte aufarbeitet oder wenn das umgekehrt auch die alte Gertrud, die seit ihrer Geburt im Haus im Wedding lebt, macht.

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