Schuld- und Freispruch im Dschihadistenprozess

Der vierte Grazer Dschihadistenprozess hat am Dienstag mit Schuld- und Freispruch geendet. Der ältere der beiden Brüder wurde unter anderem wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt, der jüngere dagegen freigesprochen.

Angeklagt waren zwei Brüder, 17 und 23 Jahre alt, gebürtige Österreicher mit türkischen Wurzeln, sie lebten zuletzt in Wien. Der Ältere soll bei Kämpfen in Syrien schwer verletzt worden sein; nach seiner Rückkehr soll er damit begonnen haben, seinen Bruder ebenfalls für den Dschihad zu begeistern. Die beiden planten ihre Ausreise, die die Polizei jedoch im November 2014 mit einer Verhaftung verhindern konnte.

Der 23-Jährige hatte angegeben, er sei zwar in Syrien gewesen, jedoch bei der gemäßigten Freien Syrischen Armee (FSA), außerdem habe er nur als Sanitäter gearbeitet, wobei er auch angeschossen wurde. Der jüngere Bruder hätte laut Verteidiger nur drei Monate nach Istanbul reisen sollen, um dort eine Schule zu besuchen - mehr dazu in Vierter Dschihadistenprozess angelaufen, in Vierter Dschihadistenprozess: Zeugen befragt und in Dschihadistenprozess: Abschiedsbrief an Freundin.

Gutachter erläuterten Schussverletzungen

Am Dienstag schilderten zwei Gutachter die Verletzungen des 23-Jährigen: Der Facharzt für Radiologie erklärte den Geschworenen, dass auf Röntgenbildern vom AKH Wien aus dem Jahr 2013 zwei Projektile in den Oberschenkeln des Angeklagten zu sehen sind. Die Wunden habe der 23-Jährige - so seine Verantwortung - bei seinem ersten Syrien-Aufenthalt von 2012 bis März 2013 erlitten. Laut dem zweiten Sachverständigen hinterließen „Steckschüsse“ „viele Monate alte Narben“. Die Projektile blieben im Körper des Angeklagten stecken, entweder, weil die Schüsse von weit weg oder aus einer „langsamen Waffe“ abgegeben worden waren.

Kult rund um zurückgekehrte Kämpfer

In seinem Schlussplädoyer sprach der Staatsanwalt dann von einem Kult, der rund um die Rückkehrer entstehe: Mit seinen Schussverletzungen und Kugeln im Körper sei der 23-jährige Angeklagte bei den islamischen Glaubensvereinen „hoch geachtet“. Den Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung habe sowohl er als auch sein 17-jähriger Bruder erfüllt, nämlich als der Abflugtermin fixiert und die Tickets gekauft waren. Der ältere Beschuldigte wolle nur vortäuschen, dass er als Helfer für gemäßigte Freie Syrische Armee (FSA) gearbeitet hat: „Mit einer Kalaschnikow?“ meinte der Ankläger zynisch; Österreicher hätten im syrischen Bürgerkrieg nichts verloren.

Verteidiger: „Zu wenig, um zu bestrafen“

Die beiden Verteidiger dagegen wollten keinen Beweis für die Schuld ihrer Mandanten erkennen, es handle sich nur um Indizien - die Anklage stütze sich auf eine von acht Vernehmungen des 23-Jährigen, und bei der sei der Beschuldigte unter Druck gesetzt worden. Der jüngere Bruder - er war einmal mit einem Dschihad-T-Shirt in die Schule gekommen - war für den zweiten Verteidiger sowieso ein „ganz normaler 17-Jähriger“, der einen Sprachkurs in der Türkei machen wollte - das habe nichts mit Terrorismus zu tun: „Es ist zu wenig, um zu bestrafen.“

Zehn Jahre Haft

Nach knapp fünfstündiger Beratungszeit folgten die Geschworenen den Argumenten des Staatsanwalts nur teilweise: Sie hielten den 23-Jährigen einstimmig für schuldig, für den IS gekämpft und dabei versuchten Mord und schwere Nötigung begangen zu haben, seinen jüngeren Bruder soll er aber nicht angeworben haben - das Urteil: Zehn Jahre Haft. Der 17-Jährige wurde einstimmig für nicht schuldig befunden. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Zwei weitere Verfahren schon beendet

Zwei weitere IS-Prozesse gingen bereits mit einem erstgerichtlichen Urteil zu Ende - mehr dazu in Dschihadistenprozess: Acht Jahre Haft und in Dschihadistenprozess: „Urteil sehr streng“ sowie in Dschihadistenprozess: Haft für sechs Angeklagte, ein weiterer - es handelt sich dabei um den Prozess gegen den islamischen Prediger - wurde vertagt; dieser Prozess soll Mitte April fortgesetzt werden, ein Urteil ist da aber noch nicht zu erwarten - mehr dazu in Grazer Dschihadistenprozess wurde vertagt.