Weihnachtsansprache von Superintendent Hermann Miklas

Erinnern Sie sich?

Als wir noch Kinder waren, da ist es uns manchmal schwer gefallen, abends zur Ruhe zu kommen. Zu viel Aufregendes war tagsüber geschehen, als dass wir einfach friedlich hätten einschlafen können. Aber dann hat sich die Mutter oder die Großmutter – und vielleicht sogar einmal der Vater – an unser Bett gesetzt und eine „Gute-Nacht-Geschichte“ erzählt. Eine Geschichte gegen das Aufgewühlt-Sein. Und tatsächlich: Bald hat sich die Unrast gelegt, wir haben uns geborgen gefühlt und sind ganz beruhigt eingeschlafen.

Hermann Miklas

Evangelische Kirche

Superintendent Hermann Miklas

Inzwischen sind wir erwachsen geworden. Aber das heißt ja nicht, dass unser Nervenkostüm heute stabiler wäre als damals. Im Gegenteil: In gewisser Hinsicht ist unser Leben heute vielleicht sogar noch aufregender, noch hektischer, noch beunruhigender als damals. Wir lieben dieses Leben – mit all seinen Herausforderungen und seiner Dynamik – und möchten es sicher nicht eintauschen gegen ein Leben in Langeweile. Nur die Fülle der Ereignisse und die enorme Geschwindigkeit, mit der sich alles abspielt, die machen uns immer öfter zu schaffen. Dazu noch die nicht gerade beruhigende Lage unserer Welt: die Situation in Aleppo und die immer dichteren Terroranschläge in Europa, wie zuletzt in Berlin, ausgerechnet auf dem Christkindlmarkt vor einer Kirche! Bis in die Gestaltung des familiären Weihnachtsabends hinein können wir der Anspannung nicht mehr ganz entkommen. Wer eigentlich erzählt uns großen Leuten eine „Gute-Nacht-Geschichte“? Eine Geschichte gegen die Unrast und das Aufgewühlt-Sein unserer Seelen?

„Es war einmal“, so haben die meisten Geschichten der Kindheit begonnen, deren Zauber uns einst gefangen genommen hat. – „Es begab sich aber zu der Zeit“, so beginnt die „Gute Nachricht“ für uns Menschen. Die Geschichte Gottes gegen die menschliche Zerrissenheit. Und was das Beste daran ist: Sie beginnt nicht im Überall und Nirgendwo der Märchen, sondern sie spielt mitten im Leben; mitten in der Wirklichkeit, wie wir sie ja auch selbst zur Genüge kennen. In einer Welt, in der ein großer Herrscher in Rom (Augustus) kleine Leute in fernen Ländern einfach auf die Straße treiben konnte. In einer Welt, in der unbequeme Personen kurzerhand kaltgestellt und ermordet worden sind. In einer Welt, in der es Kometen, Sternzeichen, Naturphänomene und Naturgewalten gegeben hat. In einer Welt, in der zwischen den Mächtigen dieser Erde um strategisch wichtige Gebiete bis aufs Blut gekämpft wurde. In diese Welt also, wie sie bis heute existiert, wird der hineingeboren, den wir Gottes Sohn nennen.

Als Kind. Unscheinbar, hilfsbedürftig, allen irdischen Machenschaften scheinbar wehrlos ausgeliefert. Nicht in einem Palast geboren, sondern in einem Viehstall. Mitten im Arme-Leute-Milieu (würden wir heute sagen). Da, bei den einfachen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, genau da nimmt Gott auf dieser Erde Wohnung. In Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Auf Heu und auf Stroh.

Genau betrachtet müssen die ganzen Ereignisse damals ja auch für Maria und Josef alles eher als beschaulich gewesen sein. Und doch geht von dieser „heiligen Nacht“ in Bethlehem eine merkwürdige Ruhe aus. Eine Ruhe, die stärker ist als aller Lärm und alle Aufregungen rundherum. Und tief im Inneren spüren wir, dass es wohl genau so sein musste. Ja, dass es gar nicht anders hätte kommen können!

Gott ist mitten in unsere pulsierende, aufgewühlte Welt getreten. In Gestalt eines kleinen, zarten, schlafenden Kindes. Was für ein Kontrast! Aber gibt es ein sprechenderes Friedenssymbol? Ein schöneres Bild des Zur-Ruhe-Kommens trotz – oder gerade in turbulenten Zeiten?

Die Ansprache zum Nachhören

Die Weihnachtsansprache von Superintendent Hermann Miklas können Sie hier auch nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

„Ach Herr, gib uns’ren aufgescheuchten Seelen das Heil, für das du uns bereitet hast“ betet Dietrich Bonhoeffer um Weihnachten 1944 in seiner Gefängniszelle, während draußen die Bomben niederfallen. Es ist auch mein Gebet heute Abend. Und ich hoffe inständig, dass dieser Weihnachtsabend zu einer Atempause der Besinnung und des Kraftschöpfens wird – für alle Menschen – nah und fern. Nicht in biedermeierlicher Weltflucht, sondern im unerschütterlichen Vertrauen darauf, dass sich der Friede Gottes letztlich doch als stärker erweisen wird als die Macht der Verhältnisse. In diesem Vertrauen dürfen wir dann auch singen: „Holder Knabe im lockigen Haar, schlaf in himmlischer Ruh…“ Ja: Schlaf in himmlischer Ruh! Und lass mit dir auch uns die Ruhe finden, die wir brauchen, um morgen wieder – ohne Angst oder Panik – mutig und besonnen unsere Schritte setzen zu können.

Link: