Poesieautomat
Grazer Poesieautomaten
Grazer Poesieautomaten
Kultur

Poesieautomaten: Gedichte auf Knopfdruck

Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark und der Dichter Matthias Göritz bringen in Graz Poesie in den urbanen Freibereich: Drei Automaten, normalerweise mit Spielereien für Kinder, Bonbons oder Kondomen befüllt, geben Poesie aus.

1987 gewann der russisch-amerikanische Dichter Joseph Brodsky den Literaturnobelpreis. In seiner Dankesrede forderte er, dass Tankstellen neben Treibstoff, Zigaretten, Getränken und Snacks doch auch Gedichte verkaufen sollten. Damit, so meinte der damals frischgebackene Nobelpreisträger, könne diese oftmals unterschätze Literaturgattung niederschwellig einem breiten Publikum zugängig gemacht werden. Aus den „Reimen von der Tanke“ wurde zwar nichts, trotzdem passiert etwas ganz Ähnliches derzeit in Graz – mit den Poesieautomaten.

Geschenk um 50 Cent

Wenn Elisabeth Fiedler vom Institut für Kunst im öffentliche Raum am vermeintlichen Kondomspender im Grazer Stadtpark hantiert, hat sie nicht Sex im Kopf – der Automat gibt nämlich keine Verhütungsmittel, sondern Gedichte aus. „Wunsch war, Menschen das für 50 Cent ein Geschenk möglich zu machen. Das Resultat sind frische Gedichte von jungen Grazerinnen und Grazern, auf dem Schloßberg slowenische Gedichte und beim Forum Stadtpark die gefühlsechten, die romantischen und erotischen Gedichte“, so Fiedler.

Raus aus dem stillen Kämmerlein

Die Grazer Poesieautomaten sind eine Idee des Dichters, Übersetzers und Universitätslehrers Matthias Göritz: „Mir war es immer sehr wichtig, dass Gedichte im Stadtraum einen anderen Ort finden können, einen, wo sich die Bürgerinnen und Bürger sich vielleicht mit größerer Lust mit der Sprache auseinandersetzen. Das Lesen wegbringen vom stillen Kämmerlein und der Buchhandlung“, so Göritz.

Sendungshinweis:

„Radio Steiermark am Vormittag“, 10.6.2021

Jeder der drei Poesieautomaten ist mit 14 bisher meist unveröffentlichten Gedichten gefüllt. Auf Deutsch oder auch in anderen Sprachen, von arrivierten AutorInnen ebenso wie von – noch – unbekannten Dichtern. „Man kann sich ja gleich mehr schenken, man kann sich selbst sein eigenes Tagebuch fabrizieren“, so Fiedler.

Herausforderung für Autoren

Dass die Gedichte auf die kleinen, mehrfach gefalteten Zettel passen müssen, ist für die teilnehmenden Autoren eine Herausforderung, bestätigt auch die junge Grazer Lyrikerin Lisa Schantl: „Es ist auch ganz ein neues Erlebnis, wie man die Gedichte liest, man liest mehr quer – und das schenkt vielleicht jedem Wort mehr Aufmerksamkeit.“

Preis ausgelobt

Die Poesieautomaten werden bis Dezember in Graz aufgestellt bleiben. Das Geld, das bis dahin eingenommen wird, ist der Grundstock für den sogenannten 50 Cent-Preis – alle Käufer können nämlich über eine eigene App ihr persönliches Lieblingsgedicht küren. „Das Gedicht mit den meisten Stimmen erhält den Preis, und ich werde mich an den Rapper ‚50Cent‘ wenden und ihn um ein Grußbotschaft bitten“, so Göritz.

Gedichte billig aus einem Automaten drücken zu können, sei keine Geringschätzung dieser Literaturgattung, betonte der Kurator weiter – im Gegenteil: Er wolle mit seinen Poesieautomaten der Lyrik den bedeutungsschwangeren Nimbus nehmen.