Graz Rand-Künstler unterwegs
Kulturjahr 2020
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Kultur

Die Grazer Grenzen künstlerisch erwandert

Um aufzuzeigen, wo die Grazer Grenzen verlaufen, um neuen Raum zu entdecken und um Gegenden zu Fuß zu erkunden, haben vier KünstlerInnen die Wanderschuhe ausgepackt: In sieben Tagen „umwanderten“ sie Graz.

Aktuell leben weltweit rund 4,4 Milliarden Menschen in Städten – das entspricht 56 Prozent der gesamten Erdbevölkerung. Der weltweit größte Ballungsraum ist Tokyo mit über 37 Millionen Einwohnern, in der größten europäischen Stadt, Moskau, leben weit mehr als 12 Millionen Menschen. Städte faszinieren Menschen schon seit jeher – aber wo endet eigentlich eine Stadt? Und wo beginnt „das Land“?

„Wollten erkunden, was wir nicht kennen“

Architektonisch, kulturell und emotional ist eine Stadtgrenze meist kaum auszumachen, vermessungstechnisch ist sie hingegen klar und auf den Meter genau definiert – so auch bei der Stadt Graz, deren gemeindepolitische Grenzlinie vier steirischen KünstlerInnen zu Fuß erkundeten.

Robin Klengel, Markus Waitschacher, Adina Camhy und die mittlerweile in Berlin lebende Coline Robin wanderten im vergangenen Jahr für das Projekt „Graz Rand“ rund um die steirische Landeshauptstadt: Sieben Tage lang, im Uhrzeigersinn, stets möglichst genau der Stadtgrenze folgend.

Grenze bedeutet nicht immer Wegführung

Graz zu umrunden heißt, 66 Kilometer zurück zu legen – das hört sich auf sieben Tage aufgeteilt nach einem leichten Plan an. Allerdings sei der Marsch doch fordernd gewesen, berichten die Künstler: „Wir mussten Umwege in Kauf nehmen, weil die Grenze nicht immer der Wegführung folgt. Oft war das Gelände unwegsam, wir mussten durch Brombeerhecken und sind zerstochen, zerkratzt und mit Narben wieder im Grazer Zentrum angekommen.“ Das Reizvolle an dem Projekt sei gewesen, dass man in Gegenden gekommen sei, die man nicht kannte, obwohl alle vier aus Graz kommen oder hier wohnen.

Reisetagebuch immer mit dabei

Ihre Wanderung haben die vier Künstler akribisch dokumentiert: In Texten und Bildern, aber auch mittels kurzer Videoclips und Soundfiles. Im eben veröffentlichten Buch zum Projekt „GrazRand“ kann man Informationen zu den durchwanderten Orten oder Details zu den persönlichen Begegnungen auf dem Weg ebenso nachlesen wie Statistiken zur Art der Gartengestaltung oder zum Müllaufkommen an der Grazer Stadtgrenze.

Graz Rand-Künstler vor Graz-Schild
Lena Prehal

Oft genug würden Stadtränder in ihrer Bedeutung unterschätzt – zu Unrecht, meint Markus Waitschacher: „Wenn man an eine Stadt denkt, denkt man an das Zentrum. Dabei ist die Grenze etwas Definierendes und ein maßgeblicher Entwicklungsraum der Stadt, an dem die Stadt ihre Form gewinnt. Der Rand von heute ist das Zentrum von morgen.“

Öffentliches und Privates oft schwierig zu trennen

Bei ihren Grenzerkundungen wurde den Grazer Stadtumwanderern meist Wohlwollen entgegengebracht, erzählt Adina Camhy – das ein oder andere Mal seien sie aber auch eines Grundes verwiesen worden. Es gebe ja nicht immer nur Stadtgrenzen, sondern auch Grundgrenzen, schildert Camhy, was öffentlich und was privat sei, sei nicht immer sichtbar.

Sendungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 5.7.2021

Manchmal wird aber gerade an Grenzen vermeintlich Unsichtbares wieder sichtbar, sagt Robin Klengel: So haben die Künstler auf ihrer Reise auch Orte des Erinnerns entdeckt – Spuren aus der NS-Zeit etwa, die an den Rand gedrängt wurden. „Vielleicht, um sie bewusster zu vergessen, als das im Stadtzentrum der Fall wäre“, sagt Klengel.

Expedition vor die eigene Haustür

Das Buch „GrazRand“ ist derzeit noch gegen eine freiwillige Spende zum Beispiel im Institut für Kunst im öffentlichen Raum erhältlich. Für Institutsleiterin Elisabeth Fiedler ist es Reiseführer und Wanderbuch, Stadtforschungsbericht und Kunstbuch in einem. „Man wird entführt in eine scheinbar ferne Landschaft, zu einer Expedition. Dann registriert man, dass es eigentlich unmittelbar vor der Haustür ist.“