„Bournville“ – Cover
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Das Leben einer typisch englischen Familie

Der britische Bestsellerautor Jonathan Coe erzählt in seinem Werk „Bournville“ von einer weitverzweigten Familie aus England. Beleuchtet wird ihr Leben in Zeiten von großen Ereignissen der englischen Geschichte.

Der Stadtteil Bournville ist ein Modelldorf im Südwesten von Birmingham, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts von den Gründern von Cadbury Chocolate für die Mitarbeiter erbaut wurde. In diesem Bournville ist Mary Lamb, deren Familiengeschichte Jonathan Coe in dem Roman in sieben Ereignissen erzählt, aufgewachsen.

Mary ist elf Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, und wie überall in Großbritannien wird an diesem 8. Mai 1945 auch in Bournville gefeiert. Acht Jahre später, zur Zeit der Krönung von Königin Elizabeth II., absolviert Mary gerade in der Nähe von London ihre Ausbildung zur Lehrerin.

Die Krönung von Elisabeth II. als Moment der Ehrfurcht

Gemeinsam mit ihren Freundinnen versucht sie einen Blick auf die Feierlichkeiten zu erhaschen, während sich ihre Familie zu Hause vor dem Fernseher versammelt: „Eine ehrfürchtige Stille hatte sich über das Wohnzimmer gelegt. Die Zuschauer schwiegen, und sogar der Fernseher war verstummt – bis auf das Knistern im Hintergrund, das fast unhörbare weiße Rauschen, das die Sendung den ganzen Tag über begleitet hatte. Alle im Raum spürten, dass gleich etwas Bedeutendes passieren würde – auch wenn sie noch nicht verstanden, was es war.“

„Bournville“ – Cover
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Die königliche Familie im Mittelpunkt

Wenig später heiratet Mary Geoffrey Lamb, der ebenfalls aus Bournville stammt – mit ihm wird sie Mutter von drei Söhnen. Gemeinsam erlebt die Familie das Finale der Fußball-WM im Wembley-Stadion im Juli 1966 gegen Deutschland, die Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana und schließlich auch den Unfalltod von Diana.

Sendungshinweis

„Guten Morgen, Steiermark“, 24.9.2023

Dieser sorgte im September 1997 für Fassungslosigkeit in weiten Teilen der Welt und natürlich auch bei dieser Familie: „‚Sie ist tot.‘ Zunächst wussten weder Peter noch Mary, von wem die Rede war. Das nicht näher bestimmte Pronomen ‚sie‘ deutete darauf hin, dass Angela nur eine Person meinen konnte, die sie alle kannten – ein nahes Familienmitglied. Peters Gedanken gingen sofort zu seiner Frau, die sich entschlossen hatte, an diesem Wochenende nicht mit ihnen allen wegzufahren. Stattdessen war sie für zwei Wochen mit einer Gruppe von Freundinnen in Frankreich. ‚Bei einem Autounfall‘, fuhr Angela fort,’ heute Nacht in Paris’. ‚Doch nicht Olivia‘, sagte Mary, die denselben voreiligen Schluss gezogen hatte. ‚Nein, nicht Olivia‘, sagte Angela fast ungeduldig. ‚Nicht Olivia. Natürlich nicht. Ich meine Diana.‘“

Ein „bittersüßes Stück Britishness“

„Die Luft roch nicht nach Schokolade, aber Schokolade lag in der Luft“ schreibt Jonathan Coe zu Beginn des Romans, denn Schokolade – beziehungsweise der Streit zwischen England und der EU um die Zutaten in der Schokolade – spielt auch eine große Rolle – lange vor dem Brexit war sogar vom „Schokoladekrieg“ die Rede.

Es ist ein „bittersüßes Stück Britishness“, urteilte die britische Tageszeitung „The Guardian“, und Jonathan Coe selbst sagte über seinen 15. Roman: „Viele Ereignisse sind mit der königlichen Familie verbunden, aber es ist kein Buch über die Royals und auch nicht die TV-Serie ‚The Crown‘ in Romanform, sondern es ist eine Erzählung über ganz normale Menschen, kleine Leute und wie sie von der nationalen Zeitgeschichte geprägt werden.“ Im Nachwort schreibt Coe, dass diese Mary Lamb eng an seine verstorbene Mutter angelehnt ist.