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Dorothea – eine queere Heldin

Der ORF-Journalist Jürgen Pettinger erinnert in seinem neuen Buch an die Schauspielerin Dorothea Neff, die ihre jüdische Freundin in ihrer Wohnung versteckt hat. Ein Leben in ständiger Angst – doch die Frauen überlebten.

„Queere Heldin unter dem Hakenkreuz“ – so nennt Jürgen Pettinger die Schauspielerin Dorothea Neff. Sie, die in zahlreichen Rollen an Wiener Theatern brillierte, hat nämlich während der Nazi-Herrschaft mehr als drei Jahre lang ihre jüdische Freundin Lilli Wolff in ihrer Wohnung versteckt: „Dorothea Neff sagt später, dass diese vier Jahre die eigentlich große schauspielerische Leistung in ihrem Leben waren – und nicht die großen Rollen, die sie immer auf der Bühne gespielt hat, weil sie jahrelang alle Menschen anlügen musste: selbst ihre besten Freundinnen, ArbeitskollegInnen. Sie musste so tun, als wäre da nix in ihrer Wohnung, aber da war Lilly Wolf eingesperrt. Und sie hat Gott sei Dank überlebt.“

Ein Leben in ständiger Angst

Es ist ein Leben in ständiger Angst für beide Frauen: Wenn Dorothea Neff nicht zu Hause ist, wagt Lilli Wolff es kaum sich zu bewegen – um nicht durch knarrendes Parkett verdächtig zu werden. Auch die Gefahr, dass jemand sie am Fenster sehen kann, ist groß. Denn ausgerechnet in der Wohnung auf der anderen Hofseite wohnen ein SS-Mann und seine Frau.

Buchtipp
ORF / Kremyr & Scheriau

Lilli Wolff war erfolgreiche Modeschöpferin in Köln; die beiden Frauen sind 1939 gemeinsam nach Wien gezogen – in der Hoffnung, dass die Situation in Wien besser ist. Leider ein Trugschluss, denn die Jüdin muss sehr bald in ein Sammellager übersiedeln. Und unmittelbar vor dem geplanten Abtransport fasst Dorothea Neff den Entschluss: „Du gehst nirgendwo hin. Du tauchst bei mir unter.“

„Queere Geschichte ausgraben“

Die folgenden Jahre sind für die Freundinnen nicht nur von der psychischen Belastung geprägt: „Damals war es ja so, dass Essen rationiert wurde. Es wurden Lebensmittelkarten ausgegeben. Aber nur für eine Person. Lilli Wolff war ja versteckt in dieser Wohnung und so mussten sie sich eine Lebensmittelkarte – von der schon ein Mensch nicht leben konnte – teilen. Beide Frauen sind stark abgemagert, haben an starken Mangelerscheinungen gelitten. Lilli Wolff hat dann dazu noch einen Tumor an der Brust bekommen und musste dringend operiert werden. Aber auch das haben diese beiden Frauen gemanagt.“

Sendungshinweis

„Guten Morgen, Steiermark“, 12.11.2023

Nach „Franz. Schwul unterm Hakenkreuz“ ist das schon die zweite queere Lebensgeschichte, über die Jürgen Pettinger ein Buch geschrieben hat: „Ich habe das Grab des jungen Mannes besucht, der in meinem letzten Buch die Hauptrolle spielt. Er liegt am Wiener Zentralfriedhof und wenn man da zum Ehrenhain bei Tor 2 zurückgeht, liegt Dorothea Neff. Und da ist mir aufgefallen, dass im Grab auch Eva Zilcher liegt. Da war mir klar, dass da auch eine queere Geschichte vergraben sein muss. Die wollte ich ausgraben.“

Dorothea erzählt selbst

Bei den Recherchen ist er unter anderem auch auf vergessene Tonaufnahmen gestoßen: „Ich habe in einem Audioarchiv aus den frühen 80er Jahren Aufnahmen gefunden, wo Dorothea Neff als 83-jährige Frau über ihr Leben reflektiert, alles Mögliche erzählt; eben auch aus dieser Zeit. Diese Aufnahmen habe ich zur Grundlage dieses Buchs gemacht. Teilweise hat man das Gefühl, dass Dorothea Neff selbst erzählen würde. Kein Wunder – sie tut’s ja auch!“