Alte Handschriften
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Wissenschaft

Historische „Postings“ aus dem Mittelalter

Postings verbindet man heute mit dem Internet. Doch sie waren bereits im frühen Mittelalter üblich: Gelehrte hinterließen an den Rändern oder zwischen den Zeilen von Handschriften ihre Kommentare oder Glossen. Und die können viel erzählen.

Für seine Forschung zum Thema Glossen wird das Projekt „Glossit“ des Grazer Sprachwissenschaftlers Bernhard Bauer nun mit zwei Millionen Euro vom Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert.

Sprachwissenschaftler entziffert die Glossen

Bauer hat Keltologie, also die Wissenschaft der keltischen Kultur, studiert, in Irland Altirisch gelehrt und ist wohl auch ein Sprachentalent: „Ich kann Altirisch, Altbretonisch und Altwalisisch lesen, sprechen nicht, weil das ist schon einige Zeit ausgestorben. Und dazu brauche ich noch Latein und Griechisch meistens.“

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Der Sprachwissenschaftler Bernhard Bauer entziffert alte Schriften
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Mit Hilfe von Computerprogrammen werden alte Schriften analysiert
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Die alten Schriften zeigen Glossen zwischen den Zeilen …
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… oder am Rand der Texte
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Historische Texte werden vom Sprachwissenschaftler übersetzt

Seine Forschung und Leidenschaft gilt frühmittelalterlichen Handschriften. Wobei den Wissenschaftler der Uni Graz vor allem die Zeilen zwischen den Zeilen interessieren: die Glossen, kurze Notizen, die im Laufe der Zeit in den klösterlichen Schreibstuben hinzugefügt wurden. „Es ist ein typischer Fall von: Bitte nicht zu Hause nachmachen, vor allem bitte nicht nachmachen in öffentlichen Bibliotheken heutzutage. Für uns ist es ein Goldschatz. Diese Notizen sind für uns sehr wertvoll.“

Verbreitung von Büchern nachverfolgen

So kann Bauer durch ein lateinisches Grammatikbuch aus dem 6. Jahrhundert – allein anhand der Randbemerkungen unterschiedlichster Gelehrter – die Verbreitung des Buches in Europa belegen. „Priscian hat im 6. Jahrhundert im heutigen Istanbul gelebt, hat dort eine lateinische Grammatik verfasst, und diese Grammatik wurde dann sehr schnell in ganz Europa verbreitet. Von Istanbul nach Süditalien und dann bis nach Irland. Und diese Handschrift wurde immer wieder kopiert und während des Kopierens wurden Glossen hinzugefügt, Glossen weiterkopiert, manchmal wurden Glossen weggelassen.“

Einblicke ins Klosterleben von damals

Die Gelehrten in den Schreibstuben haben so auch ihr Wissen und ihre Meinung kundgetan – und manchmal selbst ganz Persönliches durchklingen lassen: „Es gibt es im Sankt Gallener Priscian eine Stelle, wo der Schreiber offensichtlich neues Pergament bekommt und eine neue Tinte auch, und er beschwert sich auch: Neues Pergament, schlechte Tinte, oh ich sage gar nichts mehr.“ So bieten frühmittelalterliche Randbemerkungen selbst Einblick ins Klosterleben, machen aber vor allem deutlich, wie Wissen verbreitet wurde und sich Sprachen beeinflussen.

Dieser Beitrag begleitet die Sendung „Steiermark heute“, ORF 2, 28.2.2024.