Max Zirngast
APA/AFP/IPEK YUKSEK
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Chronik

Max Zirngast freigesprochen

Genau ein Jahr nach seiner Festnahme wegen Terrorvorwürfen in der Türkei ist der steirische Aktivist und Journalist Max Zirngast am Mittwoch überraschend vor einem Gericht in Ankara freigesprochen worden.

Auf den Tag genau vor einem Jahr wurde der 30-Jährige in Ankara verhaftet und war drei Monate lang in einem Hochsicherheitsgefängnis in Untersuchungshaft. Der Steirer soll laut Anklage Mitglied einer Terrororganisation gewesen sein. Weihnachten 2018 wurde er gegen Auflagen entlassen – er durfte seither die Türkei nicht verlassen, hatte aber auch keinen Aufenthaltstitel.

Van der Bellen: Freue mich mit Familie

Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßte den Freispruch Zirngasts ebenso wie Außenminister Alexander Schallenberg – mehr dazu in Van der Bellen: Freue mich mit Familie (news.ORF.at).

„Sehr kurze“ Verhandlung

Die Verhandlung sei „sehr kurz“ gewesen, so der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der als Prozessbeobachter anwesend war, aus Ankara: „Der Staatsanwalt hat zu unserer Überraschung sein Schlussplädoyer gehalten.“ Darin habe er berichtet, dass es keine Beweise dafür gebe, dass die vier Angeklagten Mitglieder in einer Terrororganisation seien, und den Freispruch beantragt.

Der Freispruch sei allerdings noch nicht rechtskräftig: Laut Lahner könne „theoretisch“ noch die türkische Oberstaatsanwaltschaft innerhalb einer Frist von sieben Tagen gegen die Entscheidung berufen, „wir gehen aber davon aus, dass sich der Staatsanwalt vorher das Okay geholt hat“.

„Liebe Grüße an alle“

Zirngast will zunächst in seine Heimat zurückkehren. In den Tagen bis zur Rechtskraft des Urteils wolle er zunächst persönliche Dinge in der Türkei klären „und dann in einem ersten Schritt zurück nach Österreich komme(n)“, sagte Zirngast am Mittwoch in einer Videobotschaft auf Twitter.

„Höchstwahrscheinlich wird das Urteil in sieben Tagen rechtskräftig sein“, sagte Zirngast im Hinblick auf die Einspruchsfrist der Oberstaatsanwaltschaft. Das sei freilich „die gleiche Staatsanwaltschaft, die den Freispruch beordert hat“. „Ich freu mich schon darauf, alle zu sehen“, sagte Zirngast mit Blick auf seine Heimreise.

„Es ist ein Witz“

Aus juristischer Sicht sei die Verhandlung am Mittwoch „ein Moment, wo sichtbar wird, was für eine Farce die türkische Justiz ist“: Schließlich sei das Verfahren im April um sechs Monate vertagt worden. „Jetzt, bei identischem Informationsstand, gibt es einen Freispruch. Es ist ein Witz.“

„Es musste ein Freispruch werden“

Auf die Frage nach den Gründen für die Gerichtsentscheidung sagte Lahner, dass es in diesem Verfahren keine Verurteilung hätte geben können: Bei der fraglichen Terrororganisation stamme nämlich „das letzte Lebenszeichen aus den 90er-Jahren“: „Daher musste es ein Freispruch werden.“ Es sei auch möglich, dass „die stille Diplomatie etwas bewirkt“ habe oder es einen Zusammenhang mit der für das Regime von Präsident Recep Tayyip Erdogan schwierigen innenpolitischen Situation gebe. Das Regime könnte auch zum Schluss gelangt sein, dass das Verfahren schon lang genug gewesen sei, um „eine Message an alle“ Regimekritiker zu senden.

Hoffnungen waren gering

Der steirische Aktivist hatte sich zuletzt keine Hoffnungen gemacht, dass er bei der Verhandlung freigesprochen werden könnte: „Das wird nicht passieren“, hatte er zuletzt bei einer Pressekonferenz in Wien, zu der er aus Ankara zugeschaltet war, gesagt. Stattdessen hoffte er darauf, dass zumindest das Ausreiseverbot aufgehoben werde – dann könnte er einen neuen Aufenthaltstitel beantragen, den er für die Fortsetzung seines Studiums brauchen würde.

Zirngast war im September 2018 in der Türkei festgenommen worden. Der Steirer studierte seit 2015 Politikwissenschaft an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara und schreibt für verschiedene Medien in der Türkei und im Ausland, darunter das deutschsprachige linksradikale Magazin „re:volt“. Dabei setzte er sich kritisch mit dem Verhältnis der Türkei zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auseinander und verfasste regierungskritische Texte.

Zirngast kritisierte Erdogan-Regierung scharf

Nicht zuletzt wegen der unklaren Vorwürfe gegen den Österreicher forderten österreichische Politiker wiederholt die Freilassung Zirngasts. In einem Artikel für die „Washington Post“ Ende November schrieb Zirngast über seine Inhaftierung und analysierte die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: „Meine Verhaftung war eine perverse Bestätigung des Autoritarismus, den ich in den vergangenen paar Jahren aufgezeichnet habe und gegen den ich aufgetreten bin“, so Zirngast.

Der Text mit dem Titel „Ich bin ein Journalist in einem türkischen Gefängnis. Warum hat Erdogan Angst vor Menschen wie mir?“ fasst Briefe des Steirers zusammen, die er nach Österreich an die Kampagne geschickt hat, die sich für seine Freilassung einsetzte. Darin kritisierte er auch die Haftbedingungen im Sincan-Gefängnis, in dem er inhaftiert war.

„Nichts als Zorn und Hoffnungslosigkeit“

Zirngast prangerte in der „Washington Post“ weiters die Unterdrückung von Aktivisten, die für die Rechte der Kurden in der Türkei eintreten, sowie von Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Putschversuch vom Sommer 2016 verantwortlich macht, an und sparte auch hier nicht mit Kritik an dem Präsidenten. „Diese Art von mutwilliger Repression ruft nichts als Zorn und Hoffnungslosigkeit hervor“, so Zirngast.

Das, was in der Türkei derzeit unter „Terrorismus“ verstanden und unter diesem Vorwand niedergeschlagen werde, „wird nur noch mehr Erbitterung gegen das Regime hervorrufen in den kommenden Jahren“, so Zirngast.