Das zerstörte Graz
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1945/2020

Die „Stunde null“ nach dem Grauen

Vor 75 Jahren ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen – und Österreich den ersten Schritt weg von der Diktatur und hin zur Demokratie. Der Krieg traf vor allem auch die Steiermark sehr schwer, das Ende war aber auch eine Art Neugeburt.

Es ist die Generation der Großeltern und der Urgroßeltern, von denen so mancher den 8. Mai 1945 als Kind miterlebte – den Tag, an dem Hitler-Deutschland, von dem Österreich ein Teil war, kapitulierte und der Zweite Weltkrieg offiziell zu Ende war; schon davor hatten die Rote Armee von Osten und die Alliierten von Westen her die Grenzen überschritten und das Ende des NS-Regimes besiegelt – mehr dazu in Das Kriegsende in den Bundesländern (news.ORF.at).

Allerdings: Noch im April 1945 wollten führende steirische Nationalsozialisten die Aussichtslosigkeit des Krieges immer noch nicht einsehen: Vor dem Grazer Rathaus etwa wurden Volkssturm-Einheiten als letztes Aufgebot vereidigt, und in der Oststeiermark wurde am sogenannten „Ostwall“ gebaut, einer insgesamt hunderte Kilometer langen Verteidigungslinie gegen die Russen.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs in der Steiermark

Franz Neger mit einem Rückblick auf die letzten Kriegstage vor 75 Jahren – dabei hat er auch mit Zeitzeugen gesprochen.

40.000 Soldaten aus der Steiermark überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht, 2.000 Menschen kamen allein bei Fliegerangriffen in Graz ums Leben. Der 8. Mai 1945 war dann allerdings die Stunde null – der erste Tag in Frieden. Gauleiter Siegfried Uiberreither floh bereits am Vortag, seine Funktion übernahm sein Stellvertreter Armin Dadieu, der die Macht ohne Blutvergießen übergab. Frei war das Land damit aber noch lange nicht.

Am Freitag wurde in vielen Staaten des Kriegsendes gedacht – gerade zum „runden“ Jubiläum wurde es aber eine Feier mit Distanz – mehr dazu in Das „Jahr null“ und das Ausnahmegedenken (news.ORF.at).

Von Freiheit war noch keine Rede

Am 8. Mai 1945 war Graz die Stadt in Österreich, auf die am meisten Bombenangriffe geflogen worden waren: Häuser, Straßen, Brücken, Wasserleitungen und Eisenbahnlinien waren zerstört, Familien durch die Toten kleiner geworden oder ausgelöscht; es fehlte an allem, vom Essen über Baumaterialien bis hin zur Kleidung.

Gleich in der Nacht zum 9. Mai 1945 marschierte die Rote Armee in Graz ein und übernahm in den folgenden Tagen große Gebiete der Steiermark. Das Obere Murtal bis Judenburg besetzten die Briten, die Amerikaner besetzten das obere Ennstal. Doch die vier Besatzungsmächte teilten sich Österreich in weiterer Folge auf, und so übernahmen nach zehn Wochen die Briten die gesamte Steiermark – mit Ausnahme des Ausseerlandes, das noch bis 1948 bei der US-Zone blieb.

TV-Hinweis

Das ORF-TV hat zum 8. Mai und darüber hinaus einen Schwerpunkt zum Weltkriegsende in Österreich und zur Gründung der Zweiten Republik – mehr dazu in tv.ORF.at

Zwischen Schwäche und Selbstständigkeit

Die Rote Arme zog sich ins östlichere Österreich zurück, doch beim Abzug nahmen die Russen überall Maschinen mit und schwächten das Land weiter, so der Historiker Stefan Karner: „Von 1,2 Milliarden Wert der gesamten Demontagen haben die Sowjets 1,1 Milliarden abtransportiert, der Rest war noch bei den Westmächten. Da hat man österreichisches Vermögen entzogen und in die Hand der Sowjets gegeben, das heißt, der Osten Österreichs war da schwer benachteiligt.“

Karner sieht die Rolle Russlands als Siegermacht allerdings auch positiv: „Sie haben es auch gleichzeitig durchgesetzt, schon vorher, dass dieses Österreich als selbstständiger Staat neu entstehen wird und nicht als Teil eines süddeutschen Staates, wie etwa Churchill oder die britischen Planungen das so wollten. Die Sowjets haben hier für Österreich für die Selbstständigwerdung sehr viel getan.“

Neubeginn und Wiederaufbau

Als erste Partei formierten sich die Sozialisten um Reinhold Machold: Er wurde erster provisorischer Landeshauptmann der Steiermark. Bei den ersten Wahlen im November bekam aber die ÖVP die absolute Mehrheit und stellte danach mit Anton Pirchegger den Landeshauptmann. Die Besatzung aber bliebt – wirklich frei wurde das Land erst zehn Jahre später mit dem Staatsvertrag im Mai 1955.