Eine psychisch erkrankte Frau sitzt mit gefaltenen Händen auf einem Sessel.
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Soziales

Tag der Toleranz: Mediator zur CoV-Spaltung

Ein Spalt geht durch die Gesellschaft: Corona polarisiert, die Debatte zwischen Geimpften und Ungeimpften wird immer härter. Am internationalen Tag der Toleranz zeigt ein Grazer Mediator Wege auf, wie sich Scherben und Narben verhindern ließen.

Nun ist es passiert – die hitzige Diskussion ums Impfen hat in der Familie im Streit geendet. Es hat gekracht. Vater und Sohn gehen sich aus dem Weg. Immer mehr warnen vor dem gewaltigen gesellschaftlichen Sprengpotenzial und langzeitigen Auswirkungen: Corona zerstört Freundschaften und bringt Beziehungen auseinander.

Tag der Toleranz:

Am 16. November findet der Tag der Toleranz statt. Er geht zurück auf den 16. November 1995: 185 Mitgliedsstaaten der UNESCO unterzeichneten damals die Erklärung der Prinzipien zur Toleranz. Sie steht für Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.

Der Grazer Mediator Swen Gillissen erlebt im öffentlichen wie auch im privaten Raum eine mit zunehmender Härte geführte Diskussion – „und das ist für mich auch gar nicht verwunderlich. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter der Diskussion stehen ja ganz zentrale Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch Sicherheit und Gesundheit, Gemeinschaft und Füreinandersorgen. Das sorgt einfach für kraftvolle Diskussionen.“

Interessen der anderen ergründen

Corona entzweit die Gesellschaft wie kaum ein Thema zuvor: Freundschaften zerbrechen wegen unterschiedlicher Ansichten, Kollegen streiten sich. Es bleiben Scherben. Wie soll man aber damit umgehen, wenn Menschen, die einem nahestehen, plötzlich eine völlig andere Wahrnehmung der Realität haben?

„Eine Diskussion auf Ebene der Positionen ‚Ich bin für eine Impfung‘ oder ‚Ich bin gegen eine Impfung‘ – führt selten zum Erfolg. Wenn wir aber ergründen, welche Bedürfnisse und Interessen dahinterstehen, dann werden beide Positionen verständlich“, rät der Mediator. Das Wichtigste: „Verstanden bedeutet nicht gleich Verstandensein – ich kann also die andere Position durchaus verstehen, ohne mich ihr anschließen zu müssen.“

Viele Menschen, viele Wahrheiten

Doch wie könnte ein Versuch aussehen, sich in freundschaftlich-kritischer Weise mit dem Pro und Contra auseinanderzusetzen – weghören, ignorieren oder tolerieren? Gillissen betont: „Ich denke, wir müssen alle anerkennen, dass es nicht nur die eine, sondern viele Wahrheiten gibt. Toleranz bedeutet nicht, dass ich die andere Position gutfinden oder gar übernehmen muss. Toleranz bedeutet: Es ist okay, dass wir anderer Meinung sind.“

Neue Diskussionsrunden

Es geht mittlerweile darum, Beziehungen und Freundschaften nicht zu gefährden. Ausgesprochene Worte, die verletzen und bloßstellen, können nicht mehr zurückgenommen werden. Den Riss doch noch zu kitten, ist für Mediator Swen Gillissen jeden Versuch wert. Das bedeute zunächst einmal, die Kommunikation wieder aufzunehmen; „weniger auf einer inhaltlichen Ebene, sondern mit der Haltung ‚Wir schaffen es jetzt besser mit unserer unterschiedlichen Haltung umzugehen.‘“

Corona vergeht und Freundschaft besteht – darüber sollte man bei der nächsten hitzigen Diskussion nachdenken, Denn die vermeintliche Suche nach Sündenböcken hat noch nie eine Lösung gebracht.