„Die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten – vor allem auch im Vorrangstraßennetz – gehen zurück, und die Folge ist ein drastisches Absinken der Unfälle mit Personenschäden“, meinte der damalige Grazer Vizebürgermeister Erich Edegger (ÖVP) im Jahr 1992 – er galt als treibende Kraft für die Senkung der gefahrenen Geschwindigkeit im Nebenstraßennetz.
Viel Überzeugungsarbeit notwendig
Verkehrspsychologe Alois Schützenhöfer, damals Leiter des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV), meint heute: „Erich Edegger als Visionär musste ganz schöne Hiebe einstecken. Aber das Besondere an ihm war: Mit einer Zustimmungsquote von nur 44 Prozent hat er den Mut gehabt zu sagen, das ist eine gute Sache für Graz, das machen wir. Die Geschichte hat ihm recht gegeben.“
Viel Überzeugungsarbeit war sowohl in den eigenen Reihen als auch bei den politischen Mitstreitern notwendig – letztlich stimmten alle Parteien mit Ausnahme der FPÖ für die Einführung von Tempo 30. Der damalige FPÖ-Chef Peter Weinmeister sammelte mit seinem Team Tausende Unterschriften gegen die Temporeduktion: „Das ist ein verkehrspolitisches Risiko, eine Alibiaktion“, so Weinmeister vor 30 Jahren.

Zahl der Unfälle deutlich gesunken
Nur ein halbes Jahr nach der Einführung wurde in Graz gewählt. Die Sorge von SPÖ und ÖVP, dass sich die Entscheidung für Tempo 30 bei der Wahl negativ auswirken könnte, erwies sich als unbegründet, erinnert sich der damalige Bürgermeister Alfred Stingl (SPÖ): „Wir haben den Wahltermin nicht so wichtig gefunden, dass wir kneifen, sondern der Inhalt war wichtig. Wenn man wirklich glaubt, dass etwas notwendig ist, muss man es durchführen. Es hat sich bei der Wahl nicht ausgewirkt. Die Leute haben sich doch rasch daran gewöhnt.“
30 Jahre Tempo 30
Vor 30 Jahren wurde auf Grazer Nebenstraßen Tempo 30 eingeführt. Damit sollte die Verkehrssicherheit erhöht werden. Heute ist Graz damit Vorbild für andere Städte. Auch das Projekt wird weiter ausgebaut.
Die Zahlen sprechen für sich: Trotz deutlicher Zunahme des Verkehrs gibt es um 20 Prozent weniger schwere Unfälle mit Personenschaden. Das Risiko, als Fußgänger getötet zu werden, sei in den 30er-Zonen fünfmal niedriger als in 50er-Bereichen, sagt Schützenhöfer: „Das Besondere daran ist, dass die Unfälle nicht nur auf den 30er-Straßen zurückgegangen sind, sondern auch auf den 50er-Straßen. Es hat sich die Aufmerksamkeit im Straßenverkehr verbessert. Die Sensibilität für gefährliche Situationen ist gestiegen.“

Zu Beginn wurde die Einhaltung der Tempolimits in Graz mit fünf Radarpistolen kontrolliert – heute überwachen Polizei und Magistrat flächendeckend mit 230 Messgeräten.
Diskussion auch in anderen europäischen Städten
Graz ist seit 30 Jahren Vorbild für andere europäische Städte. So habe etwa Brüssel vergangenes Jahr Tempo 30 eingeführt und sich Tipps aus Graz geholt, erzählt Wolfgang Feigl, Verkehrsplaner der Stadt Graz: „Wir haben von den Kollegen in Brüssel gesehen, dass es die idente Situation war. Insofern ist spannend, dass jede Stadt selbst diese politische Diskussion durchführen und auch die Bürger aufs Neue überzeugen muss für dieses aus unserer Sicht extrem wichtige Instrument der Verkehrssicherheit.“
Die Verkehrsberuhigung ist damit aber nicht abgeschlossen: Noch heuer sollen bis zu zehn weitere Vorrangstraßen in 30er-Zonen umgewandelt werden. „Diese Straßen, die für das Tempo-30-Netz infrage kommen, sind Straßen, die nicht dem übergeordneten Interesse entsprechen. Es sind keine Landesstraßen in der Regel, es sind keine wichtigen Achsen für den öffentlichen Personennahverkehr und sie werden genau geprüft hinsichtlich Verkehrssicherheit für Fußgänger und Radfahrer.“ Die Vision von Edegger, der nur zwei Monate nach der Einführung überraschend starb, wird damit noch immer weiterentwickelt.