Chronik

Rote Armee in Graz: Zeitzeugen gesucht

Das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung sucht nach Zeitzeugen und Fotoaufnahmen die die Zeit der sowjetischen Besatzung von Mai bis Ende 1945 in Graz dokumentieren. In dem Forschungsprojekt „Rote Armee in Graz“ geht es um den Alltag in den ersten zehn Wochen nach Kriegsende.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Deutsche Wehrmacht und der Zweite Weltkrieg endete in Europa. Es folgten die ersten Tage in Frieden – auch wenn es nahezu an allem fehlte und die Ungewissheit, wie es weitergeht groß war. Zu diesem Zeitpunkt blickte Graz auf heftige Bombenangriffe in den letzten Wochen des Krieges zurück.

Graz wurde als letzte Landeshauptstadt befreit

Diese letzten Wochen hinterließen tiefe Spuren und sollten Graz für lange Zeit prägen. Ein Großteil der Stadt war zerstört, die Bombenangriffe hatten mehr als 1.700 Todesopfer gefordert. In der Nacht auf den 9. Mai marschierte dann die Rote Armee kampflos in Graz ein. „Graz ist als letzte Landeshauptstadt überhaupt befreit worden – und zum Schrecken der Bevölkerung durch die Rote Armee“, erzählt die Leiterin des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung, Barbara Stelzl-Marx. „Das blieb so bis zum Zonentausch, bei dem dann die Briten die gesamte Steiermark für die kommenden zehn Jahre übernahmen“, schildert Stelzl-Marx. Sie hat bereits 2012 eine wissenschaftliche Publikation zum Alltag der rund 400.000 Rotarmisten in Österreich, die sich zwischen 1945 bis 1955 als siegreiche Befreiungsarmee erlebten, während sie in Österreich eher als Besetzer wahrgenommen wurden, vorgelegt.

Zeitzeugen-Generation stirbt langsam aus

„Ziel unseres aktuellen Projektes ist es, auf unterschiedlicher Quellenbasis erstmals eine detaillierte Studie zur Roten Armee in Graz zu erstellen“, erläutert die Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Universität Graz. Dazu gehören Akten aus österreichischen und sowjetischen Archiven ebenso wie Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen, „denn schon in wenigen Jahren wird von dieser Generation niemand mehr zu befragen sein“, wie Stelzl-Marx befürchtet.

„Wir suchen Personen, die diese Tage als Kinder und Jugendliche noch selbst erlebt haben und ihre Erinnerungen an diese Zeit mit uns teilen wollen“, betont die Zeithistorikerin. „Aus den vielen Mosaiksteinen wollen wir ein möglichst breites Bild dieser prägenden Phase erhalten – von den Demontagen der Industrieanlagen, Plünderungen und Vergewaltigungen bis zu den Einquartierungen, allen Schattierungen von Beziehungen und vor allem dem Alltag der Grazerinnen und Grazer unter dem ‚Roten Stern‘.“

Buch soll 2025 erscheinen

„Die Interviews können je nach Wunsch am Institut in unmittelbarer Uni-Nähe oder auch bei den Zeitzeugen zuhause gemacht werden“, sagt Katharina Dolesch, Mitarbeiterin am LBI für Kriegsfolgenforschung, die die Interviews mit den Zeitzeuginnen und – zeugen durchführen wird. Finanziert wird das Projekt von der Stadt Graz und dem Land Steiermark. Das Gesamtprojekt soll in zwei Masterarbeiten und einem Buch münden. Es soll 2025 – 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – erscheinen. Das LBI für Kriegsfolgenforschung wurde 1993 gegründet. Hauptzielsetzung ist die interdisziplinäre Erforschung von Auswirkungen und Folgen von Kriegen und Konflikten im 20. Jahrhundert.