Grafik eines Darms
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Gesundheit

Darm: Forschen an bakteriellen Vesikeln

Bakterien sind für eine Reihe von Infektionen bei Tieren und Menschen verantwortlich. Cholera- oder Kolibakterien produzieren kleine Ausstülpungen, sogenannte Vesikel. Diese können für Entzündungen im Darm verantwortlich sein, fand nun ein Grazer Forscherteam heraus.

Bereits seit mehreren Jahren erforscht Stefan Schild am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Uni Graz die Biologie, Physiologie und Wirtskolonisierung der in der Wissenschaft lange nicht beachteten bakteriellen Ausstülpungen (Vesikel) der äußeren Membran von Bakterien.

Dabei untersucht Schild, wie der menschliche Körper auf diese Vesikel reagiert. Aus seiner Sicht sind diese rund zehn bis 300 Nanometer großen kugelförmigen Abschnürungen lebende Kopien der Einzeller – ihre Oberfläche entspricht der Oberfläche der Außenhaut der Bakterien.

Nährstoffmangel kann Abstoßung von Vesikeln verstärken

Im Team mit internationalen Kollegen hat Schild interessante Details zur physiologischen Auswirkung der Vesikel zutage gefördert: Wie aktuelle Studien belegen, verstärken Nährstoffmangel oder Angriffe auf die Mikroorganismen – etwa in Form von Antibiotika – die Abstoßung von Vesikel massiv.

Bei der Untersuchung, wie der Körper auf diese Abschnürungen reagiert, machten die Forschenden eine erstaunliche Entdeckung: „Anders als die Bakterien selbst, werden die Vesikel rasch von den Zellen der Darmschleimhaut aufgenommen und dort vermutlich in ihre einzelnen Moleküle zerlegt“, wie Schild berichtete.

Dabei wird auch ein in den Bakterien-Membranen enthaltenes Lipopolysaccharid (LPS) freigesetzt und von den Darmzellen wahrgenommen. Gemeinsam mit Forschenden der Stuttgarter Universität Hohenheim konnten die beteiligten Signalwege identifiziert werden: „Letztlich löst das LPS häufig eine Entzündungsreaktion in unseren Körperzellen aus“, erklärte Schild die Wirkung. Die jüngsten Erkenntnisse der Forschergruppe wurden in der Juni-Ausgabe des Fachjournals „Microbiology Spectrum“ veröffentlicht.

Wissen kann zur Verhinderung von Entzündungen helfen

In der Immunologie ging man bisher davon aus, dass vor allem Oberflächenrezeptoren das bakterielle Gift erkennen und darauf reagieren. „Dieses Dogma ist nun zumindest für die untersuchten Vesikel widerlegt. Ein neuer möglicher Ansatz zur Verhinderung von Entzündungen wäre es, die Aufnahme der Abschnürungen in die Darmschleimhaut zu unterbinden“, schilderte der Grazer Biowissenschaftler.

Erster Schritt eines langen Prozesses

Der entdeckte Mechanismus werfe aber auch neue Fragen auf: Es zeigte sich, dass sich die bakteriellen Vesikel zum einen unterschiedlich verhalten und zum anderen dieselben Abschnürungen in verschiedenen Zellen unseres Körpers andere Reaktionen auslösen. „Wir haben den ersten Stein eines 10.000-Teile-Puzzles gefunden“, wie Schild selbst die Forschungslage einschätzte. Nun gelte es, die Wirkung von Vesikeln unterschiedlicher Bakterien auf Körperzellen im Detail zu entschlüsseln.

Allerdings eröffne schon die Erkenntnis, dass nicht nur die Bakterien, sondern auch ihre abgeschnürten Außenhäute eine wesentliche Rolle bei bestimmten Krankheiten spielen, neue Perspektiven. „Eventuell sind die Vesikel sogar als Biomarker nutzbar, um festzustellen, welches Mikrobiom im Darm vorhanden ist, und geben Aufschluss über den Gesundheitszustand“, hofft der Forscher.

Darm ist reich an Mikroorganismen

Der menschliche Darm beherbergt mehr als 100 Billionen Bakterien. Damit herrscht dort eine der höchsten mikrobiellen Dichten der Erde. Die Mikroorganismen im Darm (Darmmikrobiom) spielen eine entscheidende Rolle für die Verdauung, beeinflussen aber auch das Immunsystem und die Hormonausschüttung. Zusätzlich dienen die Darmbakterien auch dem Schutz vor Besiedelung durch krankheitserregende Mikroorganismen.

Im Gegenzug kann gestörte Darmflora Krankheiten wie Darmkrebs, entzündliche Darmerkrankungen (bspw. Reizdarm), schweren Durchfall und Infektionen verursachen. Weltweit leiden etwa 20 Millionen Menschen an entzündlichen Darmerkrankungen, wobei allein Durchfallerkrankungen zu jährlich rund 1,5 Millionen Todesfällen führen.