Jeremy Stöhs
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Politik

Experte: Israel-Konflikt könnte sich ausweiten

Dass Israel von den Angriffen der Hamas überrascht werden konnte, führt der ACIPSS-Sicherheitsexperte Jeremy Stöhs von der Grazer Karl-Franzens-Universität auf ein Versagen der israelischen Nachrichtendienste zurück – und warnt: Der Konflikt könnte sich ausweiten.

Seitdem die militante Palästinenserorganisation Hamas Israel am Samstag mit einem Großangriff überrascht hat, kommt das Land nicht zur Ruhe – hunderte Menschen sind bereits ums Leben gekommen. Die Angriffe der Hamas auf Israel lösen in weiten Teilen der Welt Entsetzen aus; die EU und die USA verurteilen sie scharf – mehr dazu im ORF.at-Liveticker.

Das israelische Sicherheitskabinett hat jetzt offiziell den Kriegszustand ausgerufen. Das erlaube „weitreichende militärische Schritte“, teilte Präsident Benjamin Netanjahus Büro mit: „Der Krieg, der Israel durch eine mörderische Terrorattacke aus dem Gazastreifen aufgezwungen worden ist, hat am 7. Oktober 2023 um 6.00 Uhr begonnen.“

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Jeremy Stöhs ist stv. Direktor des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS), einem Grazer Forschungszentrum, das sich seit mehr als zwanzig Jahren mit Fragen regionaler und internationaler Sicherheit beschäftigt.

„Auseinandersetzung könnte weiterschwappen“

Die aktuelle Lage in Israel schätzt der Grazer Sicherheitsexperte Jeremy Stöhs, stv. Direktor des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) an der Uni Graz, am Sonntag im Interview mit dem ORF Steiermark als dramatisch ein – „absolut gefährlich natürlich für die Region, dass es hier zu einem wirklich großen Konflikt kommt, wo auch vielleicht noch die Hisbollah oder der Iran angreifen. Das ist eine wirklich große Gefahr. Aber wir müssen auch die Gefahr für uns in Europa und Österreich wahrnehmen, dass diese Auseinandersetzung auch hierher schwappen könnte“.

Bereits am Samstag haben propalästinensische Demonstrationen in Wien für Kritik gesorgt: Auf dem Ballhausplatz sind palästinensische Flaggen geschwenkt worden – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Sicherheitsapparate haben versagt“

Umfang und Komplexität der Angriffe sind laut Stöhs völlig überraschend. Doch der Israelische Geheimdienst zählt zu den renommiertesten weltweit – wie konnte man ihn überraschen? „Indem man neue Methoden verwendet, indem man, so wie in diesem Fall, von See, Luft, Land, angreift; aber auch indem die eigenen Behörden, die Sicherheitsapparate und Dienste hier in der Informationsgewinnung und in der Analyse versagt haben“, so Stöhs, der die Rolle der Geheimdienste Sonntagfrüh in einer ZIB Spezial analysiert hat.

Bei einer derartig umfassenden Operation wie der aktuellen gäbe es im Vorfeld immer Hinweise – „und dafür sind Nachrichtendienste auch da; um das zu analysieren und an die Entscheidungsträger weiterzugeben. Die Frage wird sein – und dem werden sich die israelischen Behörden stellen müssen –, wer hat was gewusst und warum wurde das nicht ausreichend beachtet. Und warum wurde dem nicht gefolgt?“

Rosen fordert rasche Konsequenzen

Auch der Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz und der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Elie Rosen, nahm heute Stellung und kritisierte die EU: Mehr als acht Milliarden Euro habe allein die EU seit dem Osloer Abkommen an die Palästinischen Gebiete überwiesen und damit auch unweigerlich die Hamas unterstützt. Viele Staaten hätten Repräsentanten der Hamas hofiert, so Rosen. Die jetzigen Angriffe dürften weder von Israel selbst noch von demokratischen Staaten hingenommen werden. Solidaritätsbekundungen seien entbehrlich, so Rosen, der rasche politische Konsequenzen fordert.