Das neue Intendantenduo Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar wird bei seiner ersten Diagonale, dem Festival des österreichischen Films in Graz, 195 Filmproduktionen auf die Kinoleinwände bringen, darunter 84 Österreich- oder Weltpremieren.
Eröffnungsfilm über Schule in Favoriten
Die erste Österreich-Premiere gibt es bei der offiziellen Eröffnung Donnerstagabend in der Helmut-Listhalle mit dem Film „Favoriten.“ Gemeint ist mit dem Titel der zehnte Wiener Gemeindebezirk, der dieses Jahr seine Gründung vor 150 Jahren feiert.
Der Bezirk Favoriten gilt in Teilen mitunter als Wiener Hotspot: Der Migrantenanteil ist hoch, und hier liegt auch die größte Volksschule der Bundeshauptstadt. Diese Schule hat sich die heimische Dokumentarfilmdoyenne Ruth Beckermann nach Idee und Konzept von Elisabeth Menasse als Drehort ausgesucht, die Dreharbeiten haben 2020 begonnen und nahmen drei Jahre in Anspruch.
Portrait über Schüler unterschiedlicher Herkunft
Ruth Beckermann porträtiert in ihrem Dokumentarwerk eine Schulklasse mit 25 Kindern aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern; bei keinem der Kinder ist Deutsch die Erstsprache, die meisten sind Muslime, ein paar von ihnen Orthodoxe. Sie kommen aus Bulgarien, Syrien, Mazedonien, Tunesien oder Tschetschenien und bringen das von daheim übernommene Kulturverständnis mit.
Der Vater entscheidet über die Kleidung der Mutter, erzählt etwa ein Kind. Ein Bub findet es in Ordnung, gegen andere gewalttätig zu sein und lächelt dabei unschuldig. Bei der Selbstvorstellung wird viel vom sozialen Hintergrund sichtbar: Die Väter arbeiten auf der Baustelle, malen Zebrastreifen oder sind Kundenberater von Telefonanbietern; eine Mutter war in Syrien Lehrerin, hier ist sie Verkäuferin.
Lehrerin gibt Kindern Halt
Der Schulklasse voran steht die 32 Jahre alte Lehrerin Ilkay Idiskut. Sie hat selbst türkische Wurzeln und geht mit großer Geduld mit ihren Schützlingen um. Konflikte werden vor allen anderen besprochen, Entschuldigungen angeregt. Zuerst ist das Bemühen, sich deutsch zu artikulieren, den Kleinen ins Gesicht geschrieben, später mühen sie sich mit Rechenaufgaben und Präsentationen ab.
Sie gehen zum Schwimmunterricht oder besuchen mit der streng verschleierten Religionslehrerin eine Moschee. Immer mehr wird deutlich, mit welch unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund die Kinder vor ihrer Lehrerin sitzen. Doch die Lehrerin geht mit großer Natürlichkeit und Ungezwungenheit an heikle Themen und bespricht mit ihnen sachlich Sexualität ebenso wie den Ukrainekrieg – bis Ilkay Idiskut schwanger wird und es zu einem tränenreichen Abschied kommt.
Diagonale 2024
Die Diagonale läuft von 4. bis 9. April 2024 in Graz; die Preise werden am 8. April um 19.00 Uhr feierlich vergeben.
Keine Nabelschau
„Favoriten“ ist ein idealer Eröffnungsfilm für diese Diagonale: Es ist der erste des neuen Leitungsduos Kamalzadeh und Slanar, das sich gegen die Mitbewerberinnen und Mitbewerber mit einem dezidiert international gedachten Konzept durchsetzte – bei einem Festival, das aufgrund seiner Aufgabe einer repräsentativen Jahresschau des österreichischen Films leicht in den Verdacht einer nationalen Nabelschau geraten könnte.
Gerade das passiert bei der Diagonale aber nicht, der Blick über Grenzen aller Art ist Programm. „Ich wusste schon vorher, wie mannigfaltig das Filmschaffen in Österreich ist“, so Kamalzadeh, der zuvor lange Jahre als Filmkritiker bei der Zeitung „Der Standard“ geschrieben hat, „aber ich war überrascht, was für spannende Positionen es gerade im Bereich Kurzfilm gibt, wo man als Kritiker oft darüber hinweggeht, weil gar nicht die Zeit ist, alles zu sehen – und wie international diese Filme auch aufgestellt sind.“