Vor allem Frauen und Kinder sind auf der Flucht
APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI
APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI
Chronik

Ukraine-Helfer befürchtet Flüchtlingswelle

Der Ukraine-Nothelfer Wolfgang Wedan rechnet mit einer großen Flüchtlingswelle im Sommer 2024, sollte die Bombardierung der Ukraine durch russische Truppen so weitergehen. Der Umfang des Flüchtlingsstroms werde „sicher im fünfstelligen Bereich“ sein.

Der gebürtige Steirer ist Nothilfekoordinator der Hilfsorganisation „Jugend Eine Welt“. Im Gespräch mit der Austria Presse Agentur berichtete er nach einem Besuch der Hafenstadt Odessa von der tragischen Realität in der Ukraine.

120 Sekunden, bis Raketen einschlagen

Wedan wies darauf hin, dass Odessa derzeit besonders von russischen Angriffen betroffen sei. Anders als zu Beginn des Krieges seien nicht nur Infrastruktureinrichtungen im Visier, sondern auch Wohnhäuser. Gerade in mehrstöckigen Gebäuden sei es bei Angriffen kaum möglich, rechtzeitig Schutzkeller zu erreichen. Die von der annektierten Halbinsel Krim abgeschossenen Raketen bräuchten gerade einmal 120 Sekunden, um die Millionenstadt zu erreichen.

„Der Westen lässt uns im Stich“

Das auch von 100.000 bis 120.000 Vertriebenen aus anderen Landesteilen bevölkerte Odessa habe seine sprichwörtliche Leichtigkeit verloren, berichtete Wedan. Die Bewohner seien desillusioniert. „Es kommt immer mehr das Gefühl auf, der Westen lässt uns im Stich“, schilderte der Nothelfer die Stimmungslage.

Im Fokus stünden dabei vor allem Deutschland und die USA, von Ländern wie Frankreich oder Großbritannien habe man sich weniger erwartet. Große Angst hätten die Menschen vor einem Sieg des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump bei der Wahl im November. Man sei in der Ukraine überzeugt, dass man ohne die Hilfe aus dem Westen verloren sei und das ganze Land danach russisch werde.

Starker Wunsch nach Frieden

Zwar steige der ukrainische Nationalstolz nach jedem Angriff, doch bröckle der Rückhalt für das offizielle Kriegsziel, die Russen aus dem gesamten Land zu verjagen. Die Menschen wünschten sich vor allem einen baldigen Frieden, so Wedan: „Hinter vorgehaltener Hand wird gesagt: Frieren wir den Krieg ein und reden wir.“ Auch den Verlust der Halbinsel Krim habe man „schon akzeptiert“, so der Nothilfe-Koordinator. Wedan berichtete weiter, dass sich junge Männer aus Angst vor der Zwangsrekrutierung nicht mehr aus ihren Häusern trauen würden: „Es werden Autobusse aufgehalten und nach Wehrfähigen durchsucht.“

Russland sei militärisch so stark auf Odessa fokussiert, weil es dort die Lücke zur pro-russischen moldauischen Region Transnistrien schließen und die ganze ukrainische Schwarzmeerküste unter Kontrolle bringen könne, erklärte Wedan.

Spenden steuerlich voll absetzbar

In Odessa unterstützt „Jugend Eine Welt“ unter anderem eine Neugeborenen Station in einem Krankenhaus. Zudem werden Hilfsgüter geliefert, wie etwa Powerbanks zur Stromversorgung von unterirdischen Schulklassen, aber auch Essenskörbe und Hygieneartikel für Frauen. Das „weiße Gold“ der Ukraine sei derzeit Waschpulver, an dem es im ganzen Land mangle.

Besondere Bedeutung habe auch die psychosoziale Betreuung von Kindern. Viele seien traumatisiert, und wenn sie nicht behandelt werden, könnte eine verlorene Generation heranwachsen, warnte Wedan. Der Nothelfer appelliert an die Spendenbereitschaft von Unternehmen. Viele Firmenbesitzer wüssten nicht, dass Spenden für die Ukraine auch für Unternehmer vollständig von der Steuer absetzbar sind, weil sie als Katastrophenhilfe gelten.