Die Performance „Instant Culture Express Service“ von „Das Planetenparty Prinzip“ während der Eröffnungs-Extravaganza des steirischen herbstes
APA/ERWIN SCHERIAU
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Kultur

Herbst-Eröffnung am Rande des Abgrunds

„In diesem Jahr geht es um unsere Diktatur des Genießens in Zeiten der Katastrophe“, so Intendantin Ekaterina Degot bei der Eröffnung des steirischen herbstes am Donnerstag – bei jeder noch so ausgelassenen Feier sei „der Abgrund nicht weit“.

„Wir laden Sie nachdrücklich ein zu einer Übung im joie de vivre, zu einem ausgedehnten Wohlfühlerlebnis mit exquisiten ästhetischen, kulinarischen und kurtouristischen Genüssen, obendrein noch garniert und gesteigert durch den frisson der dunklen, schaudernden Ahnung, dass sich vielleicht da draußen, zur gleichen Zeit, gerade jetzt, eine Katastrophe zusammenbrauen könnte“, meinte die Intendantin.

Was bleibt, ist ein Schmäh

Degot verwies auf den Abgrund, der jederzeit „einstürzen oder sich als bloße Schimäre erweisen könnte – wie kürzlich erst unser Villen-Ableger auf Ibiza: Der stellte sich mitsamt dem Thunfischtatar und dem Champagner und der wunderschönen Millionenerbin, die wir dort ebenfalls aufgeboten haben, bei Lichte und bei Tage leider als ein einziger großer Schmäh heraus.“ Auch die Kunstschaffenden seien „famose Produzentinnen und Produzenten von Schmäh, der von den Kunstwerken bleibt, wenn das rauschende Kunstfest vorbei ist“.

„Diktatur des Genießens in Zeiten der Katastrophe“

In diesem Jahr gehe es um die „Diktatur des Genießens in Zeiten der Katastrophe“. Unter Verweis auf Georg Lukacs, der den Begriff vom „Grand Hotel Abyss“ in den 30er-Jahren prägte, sprach Degot davon, dass „bei jeder noch so ausgelassenen Feier der Abgrund nicht weit ist“. Dieses Grundgefühl präge möglicherweise jedes Festival, das sich „zur Gegenwart im Geist einer Zeitgenossenschaft verhält. Prekär und bedrohlich sind eigentlich alle Zeiten. Aber unsere Zeit im Besonderen ist ein historischer Moment, in dem wir ernten, was andere gesät haben, und säen, was andere ernten werden. Unsere Zeit ist ein schmaler Grat mit Abgründen der Ungewissheit auf beiden Seiten“.

Steirischer Herbst-Intendantin Ekaterina Degot während der Eröffnungszeremonie
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Ekaterina Degot bei der Eröffnung des steirsichen herbstes 2019

Zu den Konsumvergnügen, denen man sich im Hotel Abyss hingebe, zähle auch die Kunst: „Sich an der Kunst erfreuen zu können, ist Teil des Epos europäischer Kultiviertheit und beinahe ebenso wichtig wie anständiges Essen mit Messer und Gabel. Das gilt am allermeisten für die zeitgenössische Kunst, für die man nämlich, wie es oft heißt, einiges an Vorbildung und geschultem Geschmack mitbringen muss, nicht anders als für ausgesucht exzentrische oder bittere Speisen wie zu 99 Prozent kakaohaltige Schokolade oder Kaviar“, erläuterte die Intendantin.

„Es ist der Abgrund“

Die Sicht auf Europa auf sich selbst könne sich nur dort ergeben, wo das Hotel an einem Abgrund stehe: „Diese Sicht ist die Sicht von der anderen Seite des Abgrunds, die Sicht derjenigen, die angeblich keinen Zutritt zu unseren Vergnügungen, unseren Festschmausen, unseren Kunst- und anderen Genüssen haben. Das Grand Hotel, für das Europa sich gerne hält, steht nicht am Abgrund. Es ist der Abgrund“, schloss Degot.

Genüsse und ihre Kehrseite zum Start

Eröffnet wurde das Festival mit einer „abendfüllenden Extravaganza voller kulinarisch-ästhetischer Genüsse und ihrer dunklen Kehrseiten“, so die Intendantin im Vorfeld. Es begann im Landhaushof mit einer Politoper von Zorka Wollny, später ging es weiter in den Congress – dort gab es Installationen und Performances von Cibelle Cavalli Bastos, Jakob Lena Knebl, Markus Pires Mata und dem Choreografen Manuel Pelmuş.

Die Installation „Las Venus Resort Palace Hotel’s Cabaret Lounge Splice Download“ von Cibelle Cavalli Bastos während der Eröffnungs-Extravaganza des steirischen herbstes
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Die Installation „Las Venus Resort Palace Hotel’s Cabaret Lounge Splice Download“ von Cibelle Cavalli Bastos während der Eröffnungs-Extravaganza des steirischen herbstes

Die Berliner Experimentalvokalistin und Tänzerin Jule Flierl war zu sehen, ebenso das Künstlerduo Elmgreen & Dragset. Den Abschluss bildete eine Lecture-Performance von Gernot Wieland über Österreich und seine Genusskultur, die vom isländischen Duo Erna Omarsdottir und Valdimar Johannsson choreografiert wurde.