Ein Weststeirer steht wegen des Vorwurfs des Mordes an einer 16-Jährigen in Graz vor einem Geschworenengericht.
APA/KARIN ZEHETLEITNER
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Gericht

Mord oder Hilfe beim Suizid? Prozess in Graz

In Graz muss sich seit Dienstag ein 43-jähriger Weststeirer wegen Mordes vor Gericht verantworten. Der Mann soll im Vorjahr in Deutschlandsberg eine 16-Jährige erwürgt haben. Er behauptet, dem Mädchen beim Suizid geholfen zu haben. Ein Urteil wird für Donnerstag erwartet.

Zunächst sah alles nach einem Suizid aus: Die 16-Jährige lag im Sommer 2019 in Deutschlandsberg tot in der Wohnung des damals 42-jährigen Angeklagten, neben sich zwei Abschiedsbriefe. Der Weststeirer hatte den Vorfall selbst der Polizei gemeldet und behauptet, dem Teenager beim Suizid geholfen zu haben. Die Obduktion ergab auch, dass das Mädchen zwar mehrere Medikamente eingenommen hatte, diese aber nicht unbedingt tödlich waren – mehr dazu in 16-Jährige tot: Viele Fragen ungeklärt (28.6.2019).

„Er war eifersüchtig“

Der Angeklagte hatte die 16-Jährige zwei Monate vor der Tat kennengelernt, als sie mit ihrem Vater in dasselbe Haus in Deutschlandsberg zog, in dem auch er wohnte. „Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden, und er war eifersüchtig auf ihre Bekanntschaften“, so der Staatsanwalt am Dienstag. Die Jugendliche sei „lebensfroh und kontaktfreudig“ gewesen, „sie hat sich leicht verliebt und war am Boden zerstört, wenn eine Beziehung in die Brüche gegangen ist“, führte der Ankläger weiter aus.

Der mittlerweile 43-Jährige soll sie bedrängt haben, mit ihm wenigstens ein sexuelles Verhältnis einzugehen, doch sie lehnte ab. „Sie hat mich mit ihrer Art beeindruckt, und sie war sehr offen“, schilderte der Angeklagte seinen Eindruck von der Jugendlichen. Seine bisherigen Beziehungen hätten sich auf Prostituierte oder eine Table-Dancerin beschränkt. „Wir sind in Lokale gegangen, in Cafes, ins Schwimmbad“, erzählte der Beschuldigte. „Wieso haben Sie sich für sie interessiert?“, fragte die Richterin. Das Aussehen habe ihm gefallen, mehr Körperkontakt als eine Fußmassage habe es aber nicht gegeben.

„Sie wollte ins Paradies“

Als die 16-Jährige erneut Liebeskummer hatte, traf sie sich mit dem Angeklagten in seiner Wohnung. „Er nützte ihre vorübergehende Gefühlsschwankung aus“, ist der Staatsanwalt überzeugt. Der Mann sagte dagegen aus, dass er ihr helfen wollte, Suizid zu begehen: „Sie wollte sterben und ins Paradies.“ Bei seiner Befragung meinte der 43-Jährige zwar, „es war mein Fehler, das hätte nicht passieren dürfen“, an einen Abbruch der Tat habe er aber nie gedacht. Auf die Frage einer Geschworenen, warum er nicht einfach aufgehört und die Rettung gerufen habe, wusste er keine Antwort.

Das Mädchen sei sehr unglücklich gewesen, sie habe ihn gefragt, „ob ich Morphium oder ein Kabel oder so etwas da habe“, schilderte der Beschuldigte die letzten Stunden der Jugendlichen. „Haben Sie das ernst genommen?“, fragte die Richterin. „Sicher, wir haben ja schon vorher so komische Sachen geredet“, antwortete der Weststeirer. Der Staatsanwalt befragte ihn zu einer SMS, die sie dem Mann geschickt hatte: Darin schrieb sie, sie wolle nicht mit ihm zu einem Essen gehen, da sie gerade eine Diät begonnen hätte – was nicht dafür spräche, dass sie unbedingt sterben wollte, meinte der Ankläger.

„Der Gedanke ist mir leider nie gekommen“

„Kann es sein, dass das alles in Ihren Plan gepasst hat? Dass Sie gedacht haben, wenn Sie sie nicht haben können, soll sie niemand haben?“, hakte die Vorsitzende nach. Das stritt der Beschuldigte vehement ab. Nachdem die 16-Jährige rund 40 Beruhigungstabletten geschluckt hatte, wurde ihr schlecht und sie klagte über Bauchschmerzen. „Wenn sie über Bauchweh jammert, kann ja nicht der Tod ihr sehnlichster Wunsch sein“, meinte der beisitzende Richter.

Der Angeklagte hatte ausgesagt, dass die Jugendliche in ihrem von Tabletten benebelten Zustand „Beende es“ zu ihm gesagt habe. „Vielleicht hat sie damit gemeint, sie sollen aufhören und die Rettung rufen?“, warf eine Geschworene ein. „Der Gedanke ist mir leider nie gekommen", antwortete der 42-Jährige."Sie war nicht mehr in der Lage, einen klaren Willen zu haben“, war der Ankläger überzeugt.

Anklage: Mord – Einweisung beantragt

Laut Staatsanwaltschaft habe sich die 16-Jährige nie depressiv oder verzweifelt verhalten, das besagen sämtliche Zeugenaussagen von Bekannten, Schulkollegen, Freunden oder Lehrern. Wenige Stunden vor ihrem Tod habe sie einem Freund gegenüber auch erwähnt, eine Ausbildung als Lehrerin machen zu wollen. Daher sei es laut Anklage mit ausreichender Sicherheit auszuschließen, dass die 16-Jährige einen eindringlichen Todeswunsch hatte – mehr dazu in Nach Tod von 16-Jähriger: U-Haft verlängert (16.7.2019).

Die Anklage lautet auf Mord. Da der 43-Jährige laut einem Gutachten eine seelische und geistige Abnormität höheren Grades aufweist, wird eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt. Der Prozess wird am Mittwoch mit der Befragung von Zeugen fortgesetzt, ein Urteil wird für Donnerstag erwartet.

Hilfe bei Suizidgedanken

Vier von fünf Österreichern haben laut Statistik schon einmal darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen. Mehr als doppelt so viele Menschen wie bei Verkehrsunfällen sterben jedes Jahr durch Selbstmord – und die Steiermark liegt bundesweit an der Spitze. Für Menschen in seelischen Ausnahmezuständen gibt es Anlaufstellen, die Hilfe rasch und unkompliziert anbieten.

  • Telefonseelsorge: Tel. 142 (ohne Vorwahl)
  • Rat auf Draht: Tel. 147 (ohne Vorwahl)
  • Schuldnerberatung: (0 316) 37 25 07