Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar
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KULTUR

Diagonale abseits der Komfortzone eröffnet

Das Festival des österreichischen Films, die Diagonale 2024, wurde Donnerstagabend in Graz eröffnet. Zur von der Politik wieder losgetretenen Debatte um eine Leitkultur widmete sich die neue Intendanz mit einem Rückschluss: „Im Kino verlässt man die Komfortzone.“

Die Diagonale wurde Donnerstagabend in der Helmut List-Halle in Graz mit der Österreich-Premiere von Ruth Beckermanns „Favoriten“ eröffnet. 195 Spielfilme, Dokus und Kurzfilme sind bis zum 9. April zu sehen – mehr dazu in Diagonale eröffnet mit Blick nach „Favoriten“.

Identität, Herkunft und Leitkultur in der Eröffnungsrede

In seiner Eröffnungsrede beschäftigte sich das neue Leitungsduo Kamalzadeh und Slanar auch mit Identität, vermeintlicher Leitkultur, Herkunft, Entwicklung und den Deutungsvarianten vor allem in Kunst und Kultur.

Den Auftakt dazu bildeten ein paar Zeilen aus „My favorite things“. Die von Julie Andrews gesungene Version prägte das Österreich-Bild von Generationen Film- und Fernsehzusehern weltweit, obwohl autochthone Österreicher die Textzeile „Schnitzel with noodles“ weit von sich weisen würden. In „The Sound of Music“ geht es, so die Intendanten, um das „Heraufbeschwören von Dingen, die Behaglichkeit und Wärme vermitteln, die kitzeln, bezaubern, gut schmecken. Nur in Österreich – es ist ein ewiges Leid mit der Leitkultur – kennen den Film die allerwenigsten“. Und wenn, dann eher selten auch die Version des Jazz-Saxofonisten John Coltrane, die es immerhin ins Great American Songbook geschafft habe.

„Synonym für alles Schlechte in diesem Land“

Favorite Things, „Favoriten“ blieben nie lange das, was sie kurz gewesen seien, so Kamalzadeh und Slanar. Aber manche blieben hartnäckig, manche mutierten, andere gingen unter. „Und ist es nicht gerade das, was an der Kunst, nicht zuletzt jener meist kollektiv produzierten des Films, immer wieder aufs Neue fasziniert? Recycling, Collage, Überschreibung, performative Aneignung oder plötzliche Erweiterung ins Unbekannte?“, so das Duo zur vielfältigen Antwort auf die Frage nach Kultur.

Das Namensgebende für Beckermanns Film „Favoriten“ sei gerade wieder auch medial ein großes Thema gewesen – „Synonym für alles Schlechte in diesem Land“, wie es eine Wiener Wochenzeitung treffend zusammengefasst habe. Was der Film paradigmatisch betreibe: Er schaffe „einen Raum, um Widersprüche auszuagieren, um diese zu behandeln, um sie dann in einem nächsten Schritt einer möglichen Vermittlung, vielleicht auch einer Lösung zuzuführen. Gesellschaft, eben nicht als Kampfzone gedacht, sondern als Möglichkeit der zivilisierten Austragung von Konflikten“.

Freie Zonen des kulturellen Austauschs

Der Begriff „Kultur“ sei ohnehin nicht wirklich einfach zu erklären, nicht für Kinder, schon gar nicht für Erwachsene. Es habe ganz bestimmt etwas mit „nach draußen gehen“ zu tun, sage ein Bub in Checker-Pose in „Favoriten“. Nach draußen gehen, das heißt: Man benötige Orte dafür, eine Arena, Sichtbarkeit und die Freiheit, sich ausdrücken und präsentieren zu können. Filmfestivals wie die Diagonale seien solche freien Zonen des Austauschs, aber auch alles andere als selbstverständlich, befanden Kamalzadeh und Slanar. In Zeiten der Übersteuerung bestimmter Sichtweisen und Interpretationsmodelle seien Diskussions- und Kunstarenen umkämpfter denn je.

„Das ist seit dem Krieg in Gaza nach den Hamas-Massakern am 7. Oktober und den vielen Boykott- und Cancel-Aufrufen unübersehbar und sollte einen auch mit Sorge erfüllen“, so das Leitungsduo: „Als Veranstaltung für den österreichischen Film halten wir uns an ein universalistisches Festivalverständnis: Die Diagonale muss möglichst viele Stimmen inkludieren – und hat in dieser Hinsicht auch Wachstumspotenzial und Handlungsbedarf.“

„Das Kino ist ein Ort, an dem sich Zeit dafür genommen werden kann“, hieß es. Dieses Zeit-Nehmen sei zwar ökonomisch geregelt und definiert. Man sitze nicht als „stillgestellter“ Konsument im Saal, sondern habe sich bewusst für den Film im Kino und für die Aktivität eines präsenten Zuhörens und Zusehens entschieden, das in einen Neuanfang im Denken münden könne. „Das Kino als ein Medium, mit dem man die Komfortzone verlässt“, postulierten die Intendanten.

Großer Schauspielpreis für Miko

Die Laudatio auf den Großer Diagonale Schauspielpreisträger Lukas Miko hielten die Jurymitglieder Goran Rebic und Zeynep Buyraç, die kurzfristig für die aus privaten Gründen verhinderte ursprüngliche Laudatorin Marion Mitterhammer einsprangen.

Im Gegensatz zu vergangenen Jahren gab es dieses Mal keine Statements der Stadt- und Landespolitik zur Eröffnung. Im Anschluss an das Opening luden allerdings Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP), die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) und die Diagonale zu einem Empfang, musikalische Statements dazu lieferten die DJanes Dalia Ahmed (FM4) und Pony M (Grrrls Kollektiv).