Mitarbeiterinnen in einem Amazon Verteilzentrum
APA/HANS KLAUS TECHT
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Wirtschaft

Kein UVP-Verfahren für Amazon-Lager

Für den Bau des geplanten Amazon-Logistikzentrums in Graz ist keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig – das entschied nun das Land. Die Stadt Graz will einen möglichen Einspruch erst prüfen, die Anrainer wiederum wollen alle Rechtsmittel ausschöpfen.

Der Onlineriese Amazon will im Süden von Graz beim Liebenauer Gürtel ein Verteilzentrum mit Platz für rund 250 Mitarbeiter und knapp 1.000 Fahrer bauen – mehr dazu in Amazon plant Logistikzentrum in Graz(24.1.2021); bereits im Februar fand ein Sonderlandtag dazu statt – mehr dazu in Amazon-Lager beschäftigte Sonderlandtag (2.2.2021).

24-Stunden-Betrieb auf 67.877 Quadratmetern

Die Flächeninanspruchnahme durch das Vorhaben beträgt etwa 5,7 Hektar, die Bruttogeschoßfläche 67.877 Quadratmeter. Geplant sind eine Lager- und eine Logistikhalle, zwei Parkflächen im Freien für die Pkws der Mitarbeiter, Ladeflächen, eine viergeschoßige Parkgarage für 960 Lieferfahrzeuge, Verkehrserschließungsflächen und Infrastrukturanlagen.

Im Logistikzentrum sollen Pakete sortiert und ausgeliefert werden – 24 Stunden täglich, an sechs Tagen in der Woche, es erfolgt keine Feiertags- und Sonntagsarbeit. Der Betrieb verteilt sich auf drei Regelschichten, heißt es im Bescheid, der am Montag auf der Website des Landes veröffentlicht wurde. Geprüft und berechnet wurde die jahresdurchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung als Durchschnittswert aller Tage eines Jahres – demnach sei mit täglich 2.537 Fahrzeugen zu rechnen.

Bürgerinitiative kündigt Proteste an

Für die Anrainer sei der Bescheid des Landes ein Schlag ins Gesicht, sagt Thomas Rybnicek von der Bürgerinitiative „Lebenswertes Liebenau“ – er selbst wohnt nur 30 Meter von dem Grundstück entfernt, auf dem das Zentrum gebaut werden soll. Kommende Woche soll das weitere Vorgehen besprochen werden: „Wir prüfen aktuell mit Anwälten unsere rechtlichen Möglichkeiten in Bezug auf diese UVP-Entscheidung und werden dann als Gruppe und als Bürgerinitiative entscheiden, welche Möglichkeiten und Mittel wir ausschöpfen werden“, so Rybnicek. Auch Proteste kündigt die Initiative an.

Grüne hoffen auf „Kehrtwende“ im Berufungsverfahren

Rückendeckung bekommen die Anrainer von den Grazer Stadtparteien FPÖ, SPÖ, Grüne und KPÖ zugesichert.

„Es ist enttäuschend, dass Landesrätin Lackner (Ursula, SPÖ, Anm.) kein Interesse daran hat, die Bodenversiegelung im Großraum Graz zu stoppen“, sagte etwa der Grünen-Klubobmann Karl Dreisiebner. „Das zu befürchtende Verkehrsaufkommen mit bis zu 900 Transportern wird den jetzt schon überlasteten Straßen im Grazer Südosten weitere Probleme machen, und die Anrainer werden insbesondere durch den Dreischichtbetrieb viel an Lebensqualität verlieren.“

Auch wenn die Umwidmung schon vor 30 Jahren stattgefunden habe, zeige das, „dass die Regierungen in Stadt und Land daraus nicht gelernt haben und die Steuerung von Stadtentwicklung komplett verloren haben“. Dreisiebner hofft, dass im Berufungsverfahren noch eine Kehrtwende möglich wird.

„Ein Schlag ins Gesicht der Anwohnerinnen“

Für die Grazer KPÖ sei der Entscheid „ein Schlag ins Gesicht der Anwohnerinnen“, heißt es in einer Aussendung. Eine Beschwerde bzw. ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung könnte Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) als Vertreter der Standortgemeinde Graz nach Ansicht von Stadträtin Elke Kahr (KPÖ) geltend machen: „Bürgermeister Nagl soll alle rechtlichen Hebel in Bewegung setzen, um die betroffenen Anrainer zu unterstützen.“

Auch den Anrainern selbst stehe rechtlich die Möglichkeit einer Beschwerde zu. „Wir stehen weiterhin auf der Seite der betroffenen Bewohner. Sollten sie sich entscheiden, eine Beschwerde einzureichen, werden wir sie in rechtlichen Fragen gerne unterstützen – denn es ist nicht zu akzeptieren, dass die Interessen von Amazon über die Interessen der Anrainer gestellt werden“, so Kahr.

Bürgermeister Nagl will Gespräche führen

Aus dem Büro des Bürgermeisters war ebenfalls Enttäuschung über die Entscheidung der Behörde zu hören: Man wolle nun prüfen, ob eine Beschwerde Sinn hat oder ob man besser mit den Projektentwicklern versucht, ins Gespräch zu kommen, damit man es so verträglich wie möglich gestaltet – ein entsprechender Termin sei für August vorgesehen, hieß es. Überraschend sei es für ihn jedenfalls nicht, dass Amazon ein Verteilzentrum in Graz bauen wolle, denn die Bestellungen nähmen weiterhin zu, so Nagl.

FPÖ will rechtlich gegen Bescheid vorgehen

Vizebürgermeister Mario Eustacchio (FPÖ) ist der Ansicht, dass das Land Steiermark seiner Verantwortung nicht nachkomme: „Ich setze mich dafür ein, dass die Stadt Graz diesen Bescheid rechtlich bekämpfen wird. Bisher wurde bei einem Projekt von diesem Ausmaß von allen Seiten davon ausgegangen, dass ein UVP-Verfahren durch das Land Steiermark durchgeführt wird. Dass dies nun nicht der Fall ist, ist äußerst irritierend und sollte von der Stadt Graz nicht hingenommen werden.“

Der Grazer SPÖ-Chef Michael Ehmann zeigte sich bestürzt: Für ihn ist die Entscheidung „in keiner Weise nachvollziehbar“.

Lackner ortet Ablenkungsmanöver

Umweltlandesrätin Ursula Lackner verwies dagegen in einer Aussendung auf die vor mehr als 20 Jahren getroffene Entscheidung des Grazer Gemeinderats – dieser hatte das Areal als Gewerbegebiet gewidmet; sie zeigt sich auch erstaunt, dass einzelne Politikerinnen oder Politiker ein Eingreifen von ihr fordern: „Wer so etwas erwartet, befindet sich entweder im Wahlkampf oder hat das Wesen der Demokratie nicht verstanden, zu deren Grundpfeilern die Rechtsstaatlichkeit gehört. Die Behörde hat ihre Entscheidung nach einem umfassenden Verfahren auf Basis des strengen Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes getroffen.“

Der Grazer Gemeinderat habe mit der Widmung vor mehr als 20 Jahren das „auch selbst zu verantworten“, so Lackner, die noch ergänzte: „Diese Verantwortung nun auf das Land abschieben zu wollen ist ein Ablenkungsmanöver. Für die Abwicklung der weiteren notwendigen behördlichen Verfahren ist die Stadt Graz zuständig.“

Kritik auch vom WWF

Kritik kommt schließlich auch von der Umweltorganisation World Wildlife Fund (WWF): „Die Steiermark ist bereits jetzt mit 3,3 Hektar Flächenfraß pro Tag an der Spitze der Bundesländer. Wer so ein Mega-Projekt ohne UVP durchwinkt, hat die Dramatik unserer Situation noch immer nicht verstanden“, so WWF-Bodenschutz-Sprecherin Maria Schachinger. Das geplante Projekt zerstöre nicht nur eine riesige Fläche wertvollen Ackerlands, es befinde sich laut Schachinger auch weit abseits des Güter-Schienennetzes und würde somit für massives zusätzliches Verkehrsaufkommen sorgen.