Günter Brus
APA/ANNEMARIE HAPPE
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Kultur

Vielseitiger Grenzensprenger: Günter Brus ist tot

In den 1960er Jahren hat Günter Brus die Österreicher mit seiner radikalen Körperkunst schockiert – und bis zuletzt zählte der vielschichtige Grenzensprenger zu den bedeutendsten österreichischen Künstlern der Gegenwart. Am Samstag starb Brus im 86. Lebensjahr.

In seinen Aktionen in den 1960er Jahren in Wien setzte Brus seinen eigenen Körper und seine Körperflüssigkeiten als Material für seine Kunst ein und ging dabei an die Grenzen des körperlich und psychisch erträglichen – sowohl für sich selbst als auch für die Zuschauer: Die ritzende Rasierklinge diente dem Mitbegründer des Wiener Aktionismus am eigenen Körper als Ersatz für den Zeichenstift, und auch Exkremente wurden bei den Aktionen herangezogen – und er ging von Aktion zu Aktion immer einen Schritt weiter. Aus den Bereichen Kunst, Kultur und Politik kamen am Sonntag zum Ableben von Günter Brus zahlreiche Trauerkundgebungen und Würdigungen. Mehr dazu in Trauer um Brus: „Er prägte die Weltkunst“

Der Körper als Medium der Kunst

In den Aktionen thematisierte Brus das Leid an den gesellschaftlichen Regeln und Zwängen der späten 1960er Jahre, aber auch an der physischen Verletzlichkeit und Ausgesetztheit; zugleich stellte er die geltenden künstlerischen Konventionen auf den Kopf, indem er seinen Körper zum Medium der Kunst erklärte.

Brus bei Aktionskunst
ORF

Sein Name ist untrennbar mit dem Wiener Aktionismus verbunden – doch der gebürtige Steirer wollte sich in keine kunsthistorische Schublade stecken lassen, denn sein Werk geht weit darüber hinaus: Sein ausuferndes Oeuvre umfasste zuletzt beginnend bei den frühen informellen Bildern, die Körperkunst der 1960er-Jahre, Zigtausende an der Grenze von Literatur und bildender Kunst angesiedelte „Bild-Dichtungen“ sowie Arbeiten für die Bühne; dazu kommt das umfangreiche literarische Werk des fantasievollen Sprachkünstlers, skurrilen Wortschöpfers und Phrasenzertrümmerers.

Aktionist Günter Brus gestorben

Der Mitbegründer des Wiener Aktionismus, Maler, Zeichner und Autor Günter Brus ist am Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben. Bekannt wurde Brus in den 1960er Jahren durch seine radikale Körperkunst und seine Aktionen – eine brachte ihm sogar eine Verurteilung zu einer Haftstrafe ein. Der Aktionist zählte mit seinem umfangreichen und vielschichtigen Werk zu den bedeutendsten österreichischen Künstlern der Gegenwart.

„Aus innerem Zwang heraus auf den Zwang reagiert“

Brus wurde am 27. September 1938 in Ardning in der Obersteiermark, exakt in Pürgschachen, geboren. Zwischen 1953 und 1958 besuchte er die Kunstgewerbeschule in Graz und die Hochschule für angewandte Kunst in Wien, wobei er Letztere vorzeitig abbrach. Nach einer informellen Werkphase schockierte er in den 1960er-Jahren gemeinsam mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler die Öffentlichkeit mit seiner grenzensprengenden Körperkunst. „Ich hab aus innerem Zwang heraus auf den Zwang reagiert“, sagte Brus einmal im Gespräch mit der APA. Legendär ist auch sein „Wiener Spaziergang“, in dem er sozusagen als lebendiges Gemälde durch die Wiener Innenstadt ging.

Vom „Staatsfeind“ zum „Bild-Dichter“

Die Beteiligung an der Aktion „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien (1968), bei der Brus sich ritzte, seinen Harn trank und sich mit seinem Kot beschmierte, während er die Bundeshymne sang, ging schlecht für den Künstler aus: Er wurde wegen „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Brus entging der Haft durch die Flucht nach Berlin. Dort gründete er mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm die „Österreichische Exilregierung“ und deren „Regierungszeitschrift“ namens „Die Schastrommel“. Seinen Aktionismus beendete er im Jahr 1970 mit der „Zerreißprobe“ in München. Erst 1976 konnte seine Frau beim Bundespräsidenten bewirken, dass seine Haftstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde – 1979 kehrte der Künstler mit seiner Familie nach Österreich zurück und ließ sich in Graz nieder.

Nach der Abwendung vom Aktionismus 1979 verlegte Brus seine Botschaften auf Papier. Es begann mit der Mappe „Irrwisch“ (1970–1972), und von da an stand die Zeichnung – vor allem seine Bilddichtungszyklen – im Mittelpunkt seines Schaffens. Brus war auf den wichtigsten internationalen Kunstausstellungen wie der documenta (1982 und 1992) und der Biennale Venedig (1980) vertreten. Als Bühnenbildner stattete er unter anderem die Gerhard-Roth-Uraufführung „Erinnerungen an die Menschheit“ beim steirischen herbst 1985 aus, aber auch Arnold Schönbergs „Erwartung“ und Leos Janaceks „Das schlaue Füchslein“.

Aquarelle von Günter Brus
ORF

Seine Werkliste als Autor umfasst u. a. den Roman „Die Geheimnisträger“ (1982), die Kurzprosasammlung „Amor und Amok“ (1987) sowie seine „Schmähmoiren“, „Die gute alte Zeit“ (2002) und „Das gute alte Wien“ (2007), einen fantastisch-alptraumhaften Rückblick auf seine Wiener Jahre.

Bleibende Bühne geschaffen

Im Herbst 2011 bekam Brus in Graz mit dem Bruseum ein Museum, das nicht nur seine Werke regelmäßig zeigt und in den Kontext mit anderen Künstlerinnen und Künstler stellt, sondern auch Forschungsarbeit betreibt – mehr dazu in Bleibende Bühne für Ex-Aktionisten und Bild-Dichter.

Günter Brus
APA/ANDREAS PESSENLEHNER
Günter Brus

Für sein künstlerisches Werk hat Brus u. a. den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst (1996) und den Oskar-Kokoschka-Preis (2003) erhalten. 2018 wurde er mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Lands Steiermark und 2023 mit dem Ehrenring der Stadt Graz ausgezeichnet.

Brus lebte in den vergangenen Jahren mit seiner Tochter Diana und seiner Frau Anna am nördlichen Stadtrand von Graz. Kurz vor seinem 85. Geburtstag im vergangenen Herbst erkrankte er an Covid-19 und musste seine Teilnahme an den geplanten Veranstaltungen absagen. Zuletzt soll er an einer Lungenentzündung gelitten haben – mehr dazu in Aktionist Günter Brus ist tot (news.ORF.at)