Razzien gegen Muslimbrüder und Hamas
APA/ERWIN SCHERIAU
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Chronik

Großrazzia: Was im Hausdurchsuchungsbefehl steht

Die Großrazzia gegen Muslimbrüder und Hamas wird auch mit dem Vorwurf der Terrororganisation begründet. Laut Hausdurchsuchungsbefehl argumentiert die Staatsanwaltschaft Graz dabei vor allem mit Anschlägen im Nahen Osten.

Vergangene Woche traten über 900 Polizisten zu einer Großrazzia gegen Muslimbruderschaft und Hamas an. Dabei wurden Vereine, Firmen und Wohnungen an mehr als 60 Standorten durchsucht – mehr dazu in Operation „Luxor“ gegen Muslimbrüder und Hamas (9.11.2020), in „Luxor“: Hohe Vermögenswerte gesichert (11.11.2020) und in „Luxor“: Islamisches Kulturzentrum „schockiert“ (12.11.2020). Seither diskutieren Islam-Experten darüber, ob der Vorwurf, dass die Muslimbruderschaft eine Terrororganisation sei, auch stimmt – schließlich hätten die Muslimbrüder in Europa noch nie einen Anschlag verübt.

Anschläge im Nahen Osten

Die Staatsanwaltschaft Graz argumentiert im 185 Seiten starken Hausdurchsuchungsbefehl, der Ö1 vorliegt, vor allem mit Anschlägen im Nahen Osten: „Es sind der Hamas zumindest 115 Anschläge auf Ziele in Israel zuzuordnen. Der Muslimbruderschaft und ihren in Ägypten tätigen Unterorganisationen, darunter die HASM-Bewegung 43 Anschläge.“ (gekürztes Zitat) – und zwar bis zum Jahr 2018.

Indoktrination und Aufstachelung zu Gewalt

Untermauert wird der Verdacht, dass sieben im Hausdurchsuchungsbefehl genannte Vereine und 30 beschuldigte Personen einer Terrororganisation angehören, unter anderem mit Berichten von Veranstaltungen in Österreich: im Oktober 2013 etwa in Wien – kurz nach dem Sturz von Mohammed Mursi, dem Muslimbruder-Präsidenten in Ägypten – eine Veranstaltung, bei der Kinder in Muslimbrüder-T-Shirts und mit Muslimbrüder-Fahnen vor einer Panzer-Attrappe und einem Bild des damals neuen Präsidenten General Abdel Fatah al Sisi Slogans gerufen hätten wie „Nieder mit der Militärherrschaft. Ich bin kein Feigling! Ich sterbe auf dem Feld! Töte einen! Töte hundert! Ich werde ein Märtyrer für Ägypten sein.“ Das sei als Indoktrination und Aufstachelung zu Gewalt zu werten, schreibt die Staatsanwaltschaft.

Ein weiterer Vorwurf: Moscheevereine in Österreich seien von Qátar Charity unterstützt worden, einer Organisation, die durch ein Missionierungs- und Finanzierungsprogramm den politischen Islam in Europa stärken wolle. So steht betreffend einer Moschee in Graz zu lesen: „Es besteht der dringende Verdacht, dass der 13 Millionen Euro teure Bau auch mit Geld der Muslimbruderschaft aus Katar oder Kuwait finanziert wurde.“ – mehr dazu in „Luxor“: Auch große Grazer Moschee betroffen (10.11.2020).

Terrorfinanzierung

Durchsucht wurden auch die Räume von sieben Vereinen, manche sollen in die Finanzierung mehrerer Terrororganisationen verwickelt sein. Im Hausdurchsuchungsbefehl steht dazu: „Im Zuge von Ermittlungen ergab sich der dringende Verdacht, dass islamische Hilfsorganisationen die HAMAS finanziell unterstützen.“

„Geschenk für Waisenkinder“

Auch 18 beschuldigten Personen wird Terrorfinanzierung vorgeworfen: Die Gelder sollen als Spenden teils über Großbritannien und die „Union of Good“ geflossen sein, die den Kampf gegen Israel sowie Familien von Selbstmordattentätern unterstützen soll. Bei Telefonabhörmaßnahmen ortet die Staatsanwaltschaft Codewörter zur Verschleierung: In einem Gespräch heuer betreffend 3.000 Euro, die nach Großbritannien gehen sollten, habe ein Beschuldigter einem anderen die Anweisung gegeben. „Schreib dazu: Geschenk für Waisenkinder.“ Im Hausdurchsuchungsbefehl steht dazu: „Durch diese Aufforderung entsteht der Verdacht, dass durch bewusst falsches Dokumentieren von Geldüberweisungen mit dem Vermerk ‚Geschenk für Waisenkinder‘ der offensichtlich wahre Zweck verschleiert werden soll.“

Noch viel Arbeit für die Behörden

Auf die Behörden wartet noch viel Arbeit: Es wird viele Monate dauern, bis die Polizei Kontobewegungen und beschlagnahmte Unterlagen ausgewertet hat und bis feststeht, ob die Vorwürfe stimmen; danach könnte die Frage, ob die Muslimbruderschaft eine Terrororganisation ist, die österreichischen Gerichte jahrelang beschäftigen.