Siegfried Nagl
APA/ERWIN SCHERIAU
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Graz-Wahl

Was von der Ära Nagl in Graz bleibt

Siegfried Nagl (ÖVP) hat Graz 18 Jahre lang regiert, davor war er Stadtrat unter anderem für Finanzen und Kultur. Städtebaulich setzte Nagl auf kaum realisierbare Großprojekte – denkwürdig bleibt aber seine Rede nach der Amokfahrt 2015.

Nagl hatte als jugendlicher Quereinsteiger im Jahr 2000 eine schwächelnde ÖVP übernommen, die sogar hinter die FPÖ zurückgefallen war, und schaffte es, sie im Jahr 2003 auf Platz eins zu führen – nach der Ära von SPÖ-Langzeitbürgermeister Alfred Stingl, der auch als Nagls Mentor bezeichnet wird

 ÖVP Spitzenkanditat Siegfried Nagl (l.) im Gespräch mit dem Grazer Bürgermeister Alfred Stringl(r.) nach der Bekanntgabe des ersten Zwischenergebnisses der Gemeinderatswahlen, am Sonntag, 26. Jänner 2003 in Graz.

MARKUS LEODOLTER
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Siegfried Nagl (l.) mit dem Grazer Bürgermeister Alfred Stringl nach der Bekanntgabe des ersten Zwischenergebnisses der Gemeinderatswahlen am Sonntag, 26. Jänner 2003

Doch was bleibt von einem Stadtoberhaupt, das 18 Jahre lang regierte, städtebaulich oder in der kollektiven Erinnerung der Bevölkerung? Für gewöhnlich sind es größere Bau- oder Kulturprojekte.

Start im Kulturhauptstadtjahr

Murinsel und Kulturhaus – auch „Blaue Blase“ oder „Friendly Alien“ genannt – schaffen es zwar regelmäßig in Dokus oder Kulturmagazine, aber einen hundertprozentigen Stolz darauf haben die Grazer nicht entwickelt; zudem hat Nagl diese Landmarken nur teils mitverantwortet. In die Wege geleitet haben diese beiden Bauten des Europäischen Kulturhauptstadtjahres 2003 Nagls Vorgänger – Kulturstadtrat Helmut Strobl als ÖVP-Stadtparteichef und SPÖ-Legende Alfred Stingl als Bürgermeister.

Von Bienen und Gondeln

Nagls Projekte hatten zumeist eines gemeinsam: Sie waren für die Stadt zu teuer und für die Realisierung fehlten die Partner – Stichwort Winterolympia-Bewerbung 2026, Mur- oder Plabutschgondel, Bienenstockgarage oder die an den Stadtgrenzen endende Mini-Metro – mehr dazu in Olympia: Aus für Grazer Kandidatur (6.7.2018), Endgültiges Aus für Grazer Plabutschgondel (13.5.2020) oder in Bund bei Grazer U-Bahn weiter verhalten (1.3.2021).

Die geplante Gondel über den Plabutsch
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Die geplante Plabutschgondel

Man glaubte Nagl gerne das ehrliche Bestreben, die Stadt voranzubringen. Doch oft erfuhren potenzielle Partner – wie auch die Bevölkerung – kurzfristig aus den Medien, was auf sie zukommen sollte und was schließlich viel Geld kosten würde. Dass potenzielle politische Partner in Stadt, Land und Bund dann wenig Veranlassung verspürten, sich hinter die – teuren – Vorhaben zu stellen, schien der Bürgermeister bisweilen als persönliche Kränkung zu empfinden.

„Beton-Siegis“ Bauboom

Was an Nagl auf jeden Fall erinnern wird, ist ungezügelter und bisweilen nach Goldgräberstimmung in der Immobilienbranche gemahnender Bauboom bei Mehrparteienhäuser, die sich nicht gerade durch städtebaulichen Anspruch auszeichneten, etwa beim neuen Stadtteil Reininghaus – mehr dazu in Graz baut in Reininghaus das höchste Gebäude (16.11.2018), bei dem nach Ansicht vieler Bürger die Chance auf große städtebauliche Entwürfe verpasst wurde.

Otmar Eder, Wolfgang Bretschko, Buergermeister Siegfried Nagl, Friedrich Santner, Malte von Trotha und Klaus Schweighofer am Mittwoch, 27. Februar 2013, beim Spatenstich für das neue Styria-Gebäude in Graz.
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Zudem diente ein Gutteil der Wohnungen eher Anlegern als Mietern – in Graz stiegen die Miet- und Kaufpreise in für nicht wenige unerschwingliche Höhen. Der Nagl von seinen politischen Mitbewerbern verpasste Name „Beton-Siegi“ mag in der Form unverdient sein, traf aber offenbar einen Nerv der Bevölkerung.

Immer mehr Grazer

Stichwort Bevölkerung: Unter Nagls Ägide wuchs die zuvor Jahrzehnte stagnierende Stadt rasch, kratzt 2021 an der Marke von 300.000 Hauptwohnsitzen. Dies kam nicht von ungefähr: Vier Universitäten, von Nagl und der Landesregierung stets gefördert, zogen pro Jahr bis zu 60.000 Studenten an.

Viel Verkehr und dicke Luft

Die südlich anmutende Landeshauptstadt liegt attraktiv zwischen Hügeln, was aber im Winter die Luftgüte drastisch drückt. Gegen die Luftverschmutzung ging Nagl stetig an: Der Fernwärmeausbau in seiner Ära verbesserte vieles, doch der motorisierte Individualverkehr bleibt bis heute ein ungelöstes Problem. Die Attraktivität der Stadt in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht ist zugleich ihr Fluch: Zehntausende Auto-Pendler sorgen tagtäglich für dicke Luft.

Nicht, dass Nagl und seine Stadtregierung untätig geblieben wären: Der mit Hilfe von Bund und Land erneuerte Hauptbahnhof samt der unterirdischen Verlegung der Straßenbahngleise schuf einen attraktiven Verkehrsknoten – mehr dazu in Nahverkehrsdrehscheibe Graz eröffnet (23.11.2012). Die Belebung der Annenstraße, der einstigen Prachtstraße vom Bahnhof in die Innenstadt, gelang aber trotz mehrerer Anläufe nicht – sie wäre ein Schlüsselpunkt für Innenstadtgestaltung.

2007 wurden zwei Tramlinien verlängert, die Linie 4 zum Einkaufszentrum bzw. Park&Ride-Platz Murpark und die Linie 6 ins Petersbergental. Die Eröffnung zweier weiterer verlängerter Straßenbahntrassen – der Linie 3 zu seinem Herzensprojekt Smart City mit Science Tower und der Linie 4 zum neuen Stadtteil auf den Reininghaus-Gründen – Ende November wird Nagl nun knapp nicht mehr als Bürgermeister erleben. Dafür stockte es bei den Bims mit der Innenstadtentflechtung und der Südwestlinie.

Umkämpftes Murkraftwerk

Eine wesentliche Neugestaltung des Raumes entlang der Mur schaffte Nagl mit seiner Beharrlichkeit in Sachen Murkraftwerk im Süden von Graz – mehr dazu in Grazer Murkraftwerk offiziell in Betrieb (9.10.2019).

Murkraftwerk Graz
APA/Energie Steiermark

Erbittert bekämpft von Umweltschützern und auch Grund für das Zerwürfnis mit der KPÖ 2016, genießen nun viele Grazer die kilometerlangen neuen Wege entlang des Flusses und die neue Augartenbucht – mehr dazu in Grazer Augartenbucht ab Freitag geöffnet (16.4.2020).

Viel beachtete Rede zur Amokfahrt

Ein Fall für die Habenseite von Siegfried Nagl ist jedenfalls die Etablierung des Menschenrechtsbeirates 2007, der im Auftrag der Stadt unter anderem auch die Wahlkämpfe der Parteien aus menschenrechtlicher Sicht bewertet. Meriten erwarb sich der Bürgermeister auch in seinem Umgang mit der Amokfahrt vom 20. Juni 2015 – als er selbst auf seiner Vespa beinahe ein Opfer des Täters geworden wäre, der drei Menschen tötete und mehrere Dutzend teils schwer verletzt hatte.

Nagl-Rücktritt: Eine Ära geht zu Ende

Siegfried Nagl (ÖVP) war 18 Jahre lang Bürgermeister der Stadt Graz. Nach der für die ÖVP erschütternden Gemeinderatswahl, tritt er jedoch zurück. 12,5 Prozent hat die ÖVP verloren. Eine Ära geht zu Ende.

Nagl ließ sich nicht auf die zahlreichen Spekulationen um das Motiv des Täters ein. Menschlich und emotional auftretend, fand er klare Worte bei der Ansprache am Hauptplatz: „… dieser Mensch, der Mörder“ … was für viele Angehörige immens wichtig war. „Und ich trauere auch um jene junge Frau, deren Lebensgeschichte ich nicht kenne, und die nicht einmal im Tod jemanden abgegangen zu sein scheint“, sagte er auch – mehr dazu in Nach Amokfahrt: Tausende bei Trauermarsch in Graz (news.ORF.at, 28.6.2015).

Siegfried Nagl und Elke Kahr
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Faire Worte von Elke Kahr

KPÖ-Chefin Elke Kahr, die am Sonntag mit ihrem Wahlsieg bei der Gemeinderatswahl den Rücktritt Nagls ausgelöst hatte – mehr dazu in Wahlkarten ändern nichts: KPÖ auf Platz eins, in Kahr freundet sich mit „Bürgermeisterin“ an und in Auch Medien im Ausland staunen (news.ORF.at), fand auf eine entsprechende Frage nach dem Bewahrenswerten in Nagls 18 Jahre währendem Wirken faire Worte: „Unter anderem seine Vorsitzführung in Stadtsenat und im Gemeinderat.“. Die sei von Sachlichkeit, Unaufgeregtheit und auch dem nötigen Humor geprägt gewesen.

Über 18 Jahre lang war Siegfried Nagl Bürgermeister von Graz – nach der Wahlschlappe am Sonntag nahm er seinen Hut. Damit geht eine Ära zu Ende – mehr dazu in Nagl-Rücktritt: Eine Ära geht zu Ende. Bei einer Sitzung des ÖVP-Parteivorstandes am Montag wurde einstimmig Kurt Hohensinner als Nagl-Nachfolger bestimmt. Der 43-Jährige wird auch schon die anstehenden Gespräche mit Wahlsiegerin Elke Kahr führen – mehr dazu in ÖVP: Nagl übergibt Staffel an Hohensinner.